Zeichen, Spiele, Blumensträusse

György Kurtág und Heinz Holliger haben mit den Sammlungen «Signs, Games and Messages» sowie «Un bouquet de pensées» und «Mobile» vor allem Oboeninstrumente bedacht.

György Kurtág. Foto: Lenke Szilágyi / wikimedia commons

Kurze Stücke sind praktisch. Sei es zur Ergänzung oder Strukturierung eines Konzertprogrammes, sei es für die instruktive Arbeit im Hochschulbereich oder sei es, um den Komponierenden etwas genauer bei der Arbeit über die Schultern zu gucken. Zwei Sammlungen mit zahlreichen, vorwiegend kurzen Stücken von György Kurtág und Heinz Holliger, die in einer recht grossen Zeitspanne entstanden sind, dürften daher grosse Beachtung finden.

Unter dem Titel Signs, Games and Messages (Zeichen, Spiele und Botschaften) erschienen bereits früher Sammlungen etwa für Violine, Violoncello oder Klarinette. Nun liegen György Kurtágs Solo- und Kammermusikwerke für Oboe und Englischhorn vor, die eine tiefere Betrachtung verdienen. Seine Schreibweise bewegt sich in einem interessanten Spannungsfeld zwischen sehr genau notiert und sehr frei gemeint. Detaillierte Artikulationsangaben wie zum Beispiel verschiedene Bindebögen (hierarchisch oder alternativ gedacht) kontrastieren mit einem weitgehenden Verzicht auf Taktstriche oder allzu genaue Tempo- oder Rhythmusangaben. Einige Ossia-Stellen bieten den Ausführenden Wahlmöglichkeiten. Zentral ist bei Kurtágs Musik immer die möglichst präzise Charakterisierung: Hier helfen variantenreiche, in Worte gefasste Angaben weiter wie più sonore, raddolcendo, con slancio, disperato, pochiss. più intenso oder immer wieder rubato und parlando.

Das umfangreichste und bekannteste Werk der Sammlung ist In Nomine – all’ongherese, eine grossartige Monodie, die in leicht veränderter Form für zahlreiche Instrumente existiert. Aber auch einige kürzere Stücke verdienen eingehendes Studium, wie etwa das Sappho-Fragment oder die zweiteilige Hommage à Elliott Carter. Bei den Kammermusikwerken tritt häufig ein Klarinetteninstrument hinzu (in nicht weniger als drei Fällen ist es die Kontrabassklarinette). Als ganz kurzes Duo sticht hier sicher das heftige Versetto für Englischhorn und Bassklarinette heraus, aber auch das unendlich langsame und (bis auf einen kurzen Ausbruch) unendlich stille Rozsnyai Ilona in memoriam für Englischhorn und Kontrabassklarinette. Äusserst poetisch sind ausserdem die beiden Duos für Sopran und Oboe bzw. Englischhorn, Lorand Gaspar: Désert und Angelus Silesius: Die Ros’. Alle Werke dieser aussergewöhnlichen und grossartigen Sammlung sind Heinz Holliger gewidmet, aus dessen Feder die andere Ausgabe stammt, über die hier berichtet werden soll.

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Seine Sammlung besteht aus zehn Duos für ein Oboeninstrument und Harfe, die ursprünglich für den Eigengebrauch komponiert wurden. Es sind verspielte, teilweise sehr kurze Werke, Geburtstagsgeschenke etwa für Robert Suter, Elliott Carter oder Peter-Lukas Graf, die in der Ausgabe nun auch teilweise für andere Melodieinstrumente bearbeitet sind (Flöte, Karinette, Saxofon). Zwei längere und sehr anspruchsvolle Stücke stechen auf den ersten Blick aus den «Albumblätter-Miniaturen» heraus: zum einen das titelgebende Werk Un bouquet de pensées, seinem geschätzten Lehrer Émile Castagnaud zum 90. Geburtstag gewidmet, ein weit ausladender dialogisch angelegter Gesang aus dem Jahr 1999 für Oboe d‘amore und Harfe; zum anderen Surrogò, all’ongherese, 2006 György Kurtág gewidmet, eine sirrende und flirrende Komposition (diese Ausdrücke finden sich im Untertitel!) höchst energievollen Charakters für Englischhorn und Harfe, welche sich am Ende ins klangliche Nichts auflöst.

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In Ergänzung zu dieser äusserst lohnenden Zusammenstellung wurde nun in einem separaten Heft das bereits früher publizierte Mobile für Oboe und Harfe neu aufgelegt. Einerseits ist die Neuausgabe unabdingbar, da sowohl im Harfen- als auch im Oboenpart signifikante Änderungen eingearbeitet wurden. Andrerseits verliert das Werk nun ein entscheidendes Charaktermerkmal: Die zwölf kurzen Teile waren in der Erstausgabe auf einer grossen Seite abgedruckt und konnten in drei verschiedenen Abfolgen gespielt werden. Wenn nun mit der Neuausgabe ein ganzes Heft (in dem die drei Versionen hintereinander abgedruckt sind) durchgespielt wird und darüber hinaus ständig in den Übergangsfermaten störend geblättert werden muss, fällt der quasi improvisatorische Charakter der Aufführung komplett weg, für den der Titel Mobile steht. Der Rezensent erlaubt sich zu empfehlen, die einzelnen Teile etwas zu verkleinern und wie bei der Erstausgabe auf einen grossen Karton zu kleben. Bei guter Platzierung könnten die beiden Musikerinnen oder Musiker sogar von einem Notenkarton spielen, womit noch lebendigere und spontanere Interaktionen möglich wären.

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György Kurtàg: Signs, Games and Messages, Solos und Kammermusikwerke für Oboe und Englischhorn, Z. 15 074, ca. Fr. 52.00, Editio Musica Budapest 2018

Heinz Holliger: Un bouquet de pensées, 10 Stücke für Oboe (Oboe d’amore, Englischhorn) und Harfe (einzelne Stücke auch für Flöte/Altflöte, Klarinette, Sopran-/Alt-/Tenorsaxophon und Harfe), Partitur und Stimmen ED 9467, € 55.00, Schott, Mainz

id., Mobile, für Oboe und Harfe, Spielpartitur ED 5384, € 28.00, Schott, Mainz

Erkenntnis durch die Finger

Eine Forscherkreis um Herausgeber Markus Schwenkreis hat sich mit Improvisation und nach historischen Quellen beschäftigt und dabei der Erfahrung bei Spielen grossen Wert beigemessen.

Ausschnitt aus dem Titelblatt

Der Titel verspricht viel: ein Kompendium über das Improvisieren und Fantasieren im 17. und 18. Jahrhundert, ein geradezu abenteuerliches Unternehmen, denn der Anspruch ist hoch, wo wir doch aus jener Zeit keine direkten Zeugnisse zu dieser Musizierpraxis haben: keine Platten und keine MP3, nur Noten, Berichte und Traktate. Tatsächlich aber haben der Organist Markus Schwenkreis und ein Musikerkreis aus der Schola Cantorum Basiliensis (Forschungsgruppe Basel für Improvisation) da Hochspannendes zusammengetragen: über das Aussetzen einer Generalbasslinie oder eines feststehenden Bassgerüsts, über Kadenzen und Präludien, auch über Tanzsuiten und Fugen, über Choralharmonisierungen und die Zwischenspiele zwischen den Liedversen und überhaupt über die Musik als rhetorische Kunst. Eine ausführliche Bibliografie, ein Glossar und zahlreiche Notenbeispiele sind ein- und angefügt. Denn die tote Theorie wird, wenn möglich, auch gleich in lebendige Praxis umgesetzt. Das unterscheidet dieses grossformatige Compendium von den zahlreichen musikwissenschaftlichen Aufsätzen über historische Improvisierweise, die in den letzten Jahren veröffentlicht wurden. Und das erscheint mir auch als das Abenteuerliche und Wichtigste an diesem Buch: Die Erkenntnis stammt aus der Erfahrung; das Wissen haben sich die Spielend-Schreibenden er-improvisiert; es ging gleichsam durch ihre Finger.

Um ein Beispiel herauszugreifen: Das Formschema einer Fuge, wie es im französischen Orgelunterricht vermittelt wurde, schien Gaël Liardon schon immer etwas einseitig, weil es selbst mit der bachschen Musik, der es zu folgen vorgab, nur wenig gemein hatte. Also untersuchte der 2018 verstorbene Organist aus Lausanne, ein Schüler des Improvisationspioniers Rudolf Lutz, ein anderes Modell, dasjenige der so leichtfüssigen, luziden, scheinbar einfachen und doch höchst originellen Fugen Johann Pachelbels. Er analysierte sie, versuchte sie improvisierend nachzuschöpfen, stiess an seine Grenzen, entdeckte Kniffe und Besonderheiten im Umgang damit und experimentierte sich so in die Analyse hinein. So wird Pachelbel vielleicht selber einst sein Verfahren erarbeitet haben, wer weiss? Das scheint mir eine wunderbare Grundlage für ein dem Gegenstand angemessenes Verfahren, eine Verbindung von Pädagogik und Virtuosität – und dafür, wie die Improvisation selbst in der Musikwissenschaft endlich ihren bedeutenden Platz einnimmt.

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Compendium Improvisation. Fantasieren nach historischen Quellen des 17. und 18. Jahrhunderts, hg. von Markus Schwenkreis, Basel, 408 S. Notenbeispiele, Fr. 74.00, Schwabe, Basel 2018; ISBN 978-3-7965-3709-7

Beeindruckende Materialsammlung

Die «Geschichte der Schweizer Volksmusik» von Brigitte Bachmann-Geiser beeindruckt durch ihre Fülle an Themen, Quellen, Bildern und Klängen.

Ausschnitt aus dem Titelblatt

Das Buch von Brigitte Bachmann-Geiser ist keine Geschichte der Volksmusik, wie die Autorin im Vorwort selber feststellt, sondern eine vierhundertseitige Materialsammlung. Warum es trotzdem diesen Titel trägt, bleibt allerdings ein Geheimnis.

Die Publikation fasst das Lebenswerk von Brigitte Bachmann-Geiser zusammen; darin liegt die Stärke, gleichzeitig aber auch die Schwäche des Buches. Beeindruckend ist die Vielfalt an Themen sowie die Breite des gesammelten Materials. Kaum jemand hat sich so lang und intensiv mit verschiedenen Facetten der Schweizer Volksmusik auseinandergesetzt, und so ist eine einzigartige Sammlung von Materialien zusammengekommen, die das Buch zur Pflicht für alle Spezialisten macht. Von historischen Zeugnissen über Alpsegen, Jodelarten, Volkslied, Alphorn, Blasmusikwesen bis zu Kinderinstrumenten und Kalenderbräuchen werden vielfältige Themen behandelt. Zu allen Kapiteln ist reiches Bildmaterial abgedruckt. Akustisch wird die Sammlung vervollständigt durch zwei CDs mit Beispielen zu den einzelnen Kapiteln und mit Melodien, Rhythmen und Lärm in Kalenderbräuchen, insgesamt also ein beachtliches Konzept, das nicht nur textlich, sondern auch optisch und klanglich beeindruckt.

Das Buch weist aber einige Schwächen auf, die den positiven Gesamteindruck trüben. Die Auswahl und Gewichtung des Materials scheint sehr zufällig. So wird beispielsweise auf dreizehn Seiten über Viehschellen und Kuhglocken berichtet, während dem eidgenössischen Jodlerverband gerade einmal eine Seite zugestanden wird. Auch die Ländlermusik – immerhin eine der zentralen Gattungen der Schweizer Volksmusik – wird auf fünfeinhalb Seiten abgehandelt. Diese Gewichtung wäre zu verschmerzen, wenn sie irgendwie begründet würde. Es fehlt aber jeder Hinweis darauf, warum sie so ausgefallen ist bzw. was denn hier unter Volksmusik verstanden wird. Ebenfalls unbefriedigend ist der Umgang mit dem gesammelten Quellenmaterial. So wird beispielsweise behauptet, die Kuhreihen im 18. und 19. Jahrhundert seien ohne Text aufgeschrieben worden, weil die ausländischen Forscher mit der Schweizer Mundart nichts anfangen konnten, dabei wird aber unterschlagen, dass Jean-Jacques Rousseau sein Beispiel explizit der Sackpfeife zuschrieb. Schade ist auch, dass zahlreiche Detailfehler vorkommen. So wird z. B. ein Foto mit Stocker Sepp vor einer Swissair-Maschine auf «um 1925» datiert, obwohl die Swissair erst 1931 gegründet wurde, oder behauptet, dass Bligg mit seinem Titel Volksmusigg wochenlang in der Hitparade gewesen sei, was sich anhand der Listen der Schweizer Hitparade nicht bestätigen lässt.

Am stärksten enttäuscht jedoch, dass die meisten Kapitel in den 1970er- und 1980er-Jahren stehengeblieben sind und kaum aktualisiert wurden – und wenn, dann mit wenigen, unsorgfältig recherchierten Sätzen. Das fällt besonders beim Kapitel «Erneuerung der Volksmusik» ins Gewicht, das sich auf die 1960er bis 1980er beschränkt und die letzten 25 Jahre, in denen die Schweizer Volksmusik äusserst lebendig war und sich stark verändert hat, kaum erwähnt.

Als Quellensammlung für kritische Spezialisten ist das Buch also sehr empfehlenswert, als Überblick für Einsteiger hingegen wenig geeignet.

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Brigitte Bachmann-Geiser: Geschichte der Schweizer Volksmusik, 399 S., 187 Abb., 2 CDs, Fr. 64.00, Schwabe, Basel 2019, ISBN 978-3-7965-3853-7

Nicht jammern, sondern handeln!

Was brauchte es, damit ihre Karrieren so richtig aufblühen konnten? Sechs Schweizer Musikerinnen und Musiker geben Antwort.

Foto: Lindsay Henwood on Unsplash
Nicht jammern, sondern handeln!

Was brauchte es, damit ihre Karrieren so richtig aufblühen konnten? Sechs Schweizer Musikerinnen und Musiker geben Antwort.

Der schubladensprengende, 71-jährige Luzerner Perkussionist Fredy Studer;
Benedikt Wieland und seine Band Kaos Protokoll;
die in allerhand experimentellen Projekten engagierte Joana Aderi;
Nik Bärtsch, mit Ronin und Mobile sowie solo;
Michael Sele, mit the Beauty of Gemina ein Begriff für Fans aufwühlender Rockklänge;
und Andreas Ryser, mit dem Elektronikprojekt Filewile ebenso gut vernetzt wie mit dem Label Mouthwatering:
lauter Schweizerinnen und Schweizer, denen es gelungen ist, sich auf internationaler Ebene zu profilieren. Wir haben sie gefragt, was nötig war, damit sie sich richtig entfalten konnten.

Die drei Fragen lauteten:

Was hat es in deinem Fall gebraucht, dass du dich als Musiker derart schön hast entfalten können?

Sind die Verhältnisse in der Schweiz einer musikalischen Entfaltung zuträglich oder hinderlich?

Ist es für eine musikalische Selbstverwirklichung unabdinglich, ins Ausland zu gehen?

 

Die Antworten von (der Klick auf den Namen führt weiter):

Joana Aderi

Nik Bärtsch

Andreas Ryser

Michael Sele

Fredy Studer

Benedikt Wieland

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Wie wirkt Musik?

Eckart Altenmüller beleuchtet in seinem Buch «Vom Neandertal in die Philharmonie – Warum der Mensch ohne Musik nicht leben kann» mit grossem Geschick die physiologischen Aspekte des Musizierens.

Ausschnitt aus dem Titelblatt

Warum noch ein Buch über Musik und Gehirn?, fragt sich Eckart Altenmüller gleich als erstes. Es unterscheide sich von anderen, antwortet er selber, weil er auch Fragen nach dem Woher, Wie und Warum stelle. Das Feld steckt er denn auch weit ab, mit Einblicken in die Forschungen zur Urgeschichte des Musizierens, zur Frage, ob Tiere auch Musizieren, zur Emotionsforschung und zur Musiktherapie. All dies tut er in einem wohltuend unprätentiösen, klaren und fundierten Stil. Ergänzt werden die Ausführungen im Fliesstext durch Musikbeispiele, die mit Hilfe von QR-Codes abgerufen werden können.

Altenmüller ist Neurologe und als Flötist Schüler von Aurèle Nicolet, das heisst, sowohl als Musiker wie auch als Wissenschaftler äusserst beschlagen. Er gilt zu Recht weltweit als einer der bedeutendsten Vertreter der Neuromusikologie. Dass die Lektüre des Buches zum grossen Vergnügen wird, ist überdies der Tatsache zuzuschreiben, dass er als Person präsent bleibt. Thesen und Theorien illustriert er vorzugsweise aus seinem persönlichen Erfahrungshintergrund als Flötist. Zahlreiche Beispiele hat er denn auch selber auf seinem Instrument eingespielt. Gut spürbar ist überdies seine Verwurzelung in der westeuropäischen, bildungsbürgerlichen Medizintradition. Einschübe zur Auflockerung der wissenschaftlichen Darlegungen zitieren Persönlichkeiten wie Grimmelshausen, Proust, Ingeborg Bachmann, Ovid und so weiter.

Die stärksten Passagen des Buches stellen die Darlegungen zu physiologischen Aspekten des Musizierens dar. Altenmüller versteht es nicht nur, neuere Resultate zu Hirnphysiologie und Sensomotrik des Musizierens nahezubringen. Auch Übetechniken und Musikerkrankheiten, vor allem den «Musikerkrampf», handelt er erhellend ab. Etwas mehr aufs Glatteis gerät er, wenn es um die eher geisteswissenschaftlichen Gebiete der Emotionstheorien und Musiktherapie geht. Grossen Raum nehmen dabei wiederum die eher physiologischen Forschungen zu Gänsehautmomenten in der Musik ein. Wie Altenmüller selber einräumt, werden solche durch eher banale Dinge wie ein Kratzen auf einer Wandtafel zuverlässiger erzeugt. Man kann sich also fragen, wie gross ihr Erkenntnispotenzial für die Emotionsforschung in der Musik tatsächlich ist.

Wichtige aktuelle Modelle der Emotionsforschung in der Musik bleiben hingegen unerwähnt oder werden bloss am Rande gestreift. Vermissen dürfte man etwa Hinweise auf das ethologische Modell David Hurons oder auf Klaus R. Scherers Komponentenprozessmodell und auf die Emotionstheorien Nico Frijdas, die Ausgangspunkt für die wichtigsten neueren Modelle sind. Auch die Musiktherapie reflektiert Altenmüller vor allem als Physiologe. Einige Beispiele zur aktuellen Musiktherapieforschung scheinen wenig repräsentativ oder überholt.

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Eckart Altenmüller: Vom Neandertal in die Philharmonie – Warum der Mensch ohne Musik nicht leben kann, 511 S., € 24.99, Springer, Berlin 2018, ISBN 978-3-8274-1681-0

Kieferbeschwerden bei Musizierenden

Holzblasinstrumente verursachen häufig Kieferbeschwerden. Überraschenderweise trifft es aber auch nicht wenige, die ein Streichinstrument spielen.

Dominik Ettlin — Der Unterkiefer ist ein hufeisenförmiger Knochen. Seine beiden Enden bilden mit der Schädelbasis die Kiefergelenke. Die Stellung und Bewegungen des Unterkiefers wird durch die Aktivität der Kaumuskeln reguliert. Beschwerden in den Kiefergelenken oder -muskeln manifestieren sich meist mit bewegungsbegleitenden Knack- oder Reibegeräuschen und/oder Schmerzen, zum Beispiel beim Kauen oder Gähnen. Gelegentlich ist die Mundöffnung einschränkt (Kiefergelenkblockade). Die Beschwerden schwanken typischerweise im Zeitverlauf und in Abhängigkeit der Haltung des Unterkiefers.

Eine entspannte beziehungsweise physiologische Schwebelage des Unterkiefers ist gegeben, wenn sich obere und untere Zähne bei geschlossenen Lippen nicht berühren. Unphysiologische Bewegungen oder Haltungen wie zum Beispiel exzessives Kaugummikauen, häufiges Zähnepressen oder nächtliches Zähneknirschen können eine Überlastung des Kausystems begünstigen. Eine anhaltende unphysiologische Stellung nimmt der Unterkiefer auch beim Spielen bestimmter Blasinstrumente oder beim Gesang ein. Im Volksmund verbreitete Ausdrücke wie «verbissen an eine Aufgabe herangehen» oder «Zähne zusammenbeissen und durch» oder «an einem Problem kauen» offenbaren die enge Koppelung von Kaumuskelspannung und Gefühlen. Entsprechend können auch emotionale Belastungen zu Verspannun- gen und Beschwerden im Kauapparat führen.

Qualitativ gute wissenschaftliche Arbeiten zum Thema Kiefergelenkbeschwerden bei Musizierenden sind spärlich. In einer holländischen Studie beklagten Studierende der Musik häufiger als Medizinstudierende Beschwerden in den Bereichen Hände, Schultern, Nacken und Kiefer. Eine Befragung von 210 Lernenden fand ein deutlich höheres Risiko zur Entwicklung von Kiefergelenkbeschwerden bei denjenigen, die Blasinstrumente spielten, im Vergleich zu Musizierenden anderer Instrumente. Eine noch detailliertere Analyse hinsichtlich der Verteilung von Beschwerden nach Instrument lieferte die Befragung von 408 professionellen Muszierenden zweier klassischer Orchester in Deutschland. Weil das Musizieren mit Holzblasinstrumenten (Flöte, Fagott, Klarinette und Oboe) eine anhaltend unphysiologische Unterkieferhaltung erfordert, überrascht es nicht, dass dabei Funktionsstörungen und Schmerzen im Kiefergelenk in dieser Gruppe gehäuft beschrieben wurden. Erstaunlich ist aber, dass ähnliche Beschwerden etwa ebenso häufig von Personen empfunden wurden, die Saiteninstrumente spielten.

Andere Risikofaktoren wie nächtliches Zähneknirschen und anhaltendes Kieferpressen könnten diese Beobachtung zumindest teilweise erklären. Denn diese Risikofaktoren beschreiben gehäuft Personen unter Stressbelastungen, welche wiederum mit erhöhtem Kaumuskeltonus sowie Kiefer- und Gesichtsschmerz einhergehen. Etwa die Hälfte von 93 professionellen Violinisten in Portugal berichteten demnach, an Lampenfieber zu leiden, wobei sich ein deutlicher Zusammenhang mit Kiefergelenkbeschwerden ergab. Übermässiges Singen wird ebenfalls als mögliche Ursache von Kiefergelenkbeschwerden vermutet, aber verlässliche Daten sind dazu nicht verfügbar.

Zusammenfassend beklagen Musizierende mit variabler Häufigkeit Kieferbeschwerden. Gemäss heute bekannten Daten sind diese nicht eindeutig dem Spielen eines bestimmten Instrumententyps zuzuordnen. Für Singende und Musizierende von Blasinstrumenten ist die Beeinträchtigung aber am Höchsten. Mittlerweile wird an Musik-Ausbildungsstätten eine gesundheitsfördernde Schulung empfohlen. Instruktionen zum Erkennen von Stress und Verspannung während der Ausbildung sind zweckmässig, da etwa junge stärker als erfahrene Musizierende an Lampenfieber leiden. Sinnvoll ist auch die frühe Wissensvermittlung zu Tinnitus und anderen Hörstörungen, die gehäuft mit Kieferbeschwerden assoziiert sind. Sowohl vorbeugend wie therapeutisch steht der Umgang mit emotionalen Belastungen, die Optimierung der Körperwahrnehmung und das Erlernen von Entspannungstechniken im Vordergrund.

PD Dr. med., Dr. med. dent. Dominik Ettlin Interdisziplinäre Schmerzsprechstunde

Zentrum für Zahnmedizin,

Universität Zürich Plattenstrasse 11, 8032 Zürich

Die Literaturhinweise finden sich in der Online-Version des Artikels unter:

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«Get Going!» geht in die zweite Runde

Letztes Jahr vergab die FONDATION SUISA unter dem Titel «Get Going!» erstmals vier Anstossbeiträge, um innovative Kreativansätze ausserhalb der gängigen Schubladen zu fördern. Ab Ende Juni 2019 geht die Ausschreibung in die zweite Runde.

«Statt einem Künstler, einer Künstlerin im Nachhinein mithilfe eines Preises auf die Schulter zu klopfen, investieren wir nun das uns zur Verfügung stehende Geld stärker in die Zukunft», erklärte vor einem Jahr Urs Schnell, Direktor der FONDATION SUISA, die vom Stiftungsrat beschlossene neue Förderpolitik. Fördern statt urteilen wolle man und «so den Blick verstärkt nach vorne richten».

Gesagt, getan. Die erste Ausschreibung von «Get Going!» mündete in über 90 Bewerbungen. Dieses grosse Interesse für etwas völlig Neues sei für ihn schlicht überwältigend, meint Schnell. «Wir haben damit wirklich den Nerv der Zeit getroffen. Das durften wir in diesem Ausmass nicht erwarten, da eine solch offen formulierte Ausschreibung trotz aller Analysen ein innovativer Schuss ins Blaue war.»

Bertrand Denzler, Michael Künstle, Beat Gysin und das Duo Eclecta (Andrina Bollinger und Marena Whitcher) hiessen die ersten Empfängerinnen und Empfänger im Rahmen von «Get Going!». Der Betrag von je 25 000 Franken wurde ihnen zugesprochen, weil sie die Fachjury mit ihren kreativen Visionen zu überzeugen vermochten. Da die Anstossfinanzierung nicht an ein Resultat gebunden ist, ermöglicht diese den Musikerinnen und Musikern, befreit von finanziellem und zeitlichem Druck arbeiten zu können. «Ich glaube, dass der Faktor Zeit in einem immer hektischer werdenden Umfeld ein in seiner Kostbarkeit nicht zu unterschätzendes Gut geworden ist», erklärt Schnell einen der Vorzüge von «Get Going!».

Ausschreibung «Get Going!» 2019 ab Ende Juni

Ab Ende Juni können sich Urheberinnen und Urheber, Autorinnen und Autoren sowie Musikerinnen und Musiker, die einen deutlichen Bezug zum aktuellen schweizerischen oder liechtensteinischen Musikschaffen nachweisen können, erneut für einen «Get Going!»-Beitrag bewerben. Auch 2019 werden vier solche Anstossfinanzierungen in der Höhe von je 25 000 Franken durch eine Fachjury vergeben.

Wichtig zu erwähnen ist auch, dass «Get Going!» die anderen Förderangebote der FONDATION SUISA, insbesondere das geltende Gesuchswesen, die bestehenden Partnerschaften, die Messen und Events im Ausland sowie das Klassenmusizieren, weder konkurriert noch tangiert.

«Im Gegenteil», erläutert Schnell, «als gewichtige Starthilfe ist das neue Modell eine Ergänzung zur bisherigen Förderung. Wir wollen neue kreative Orte ausmachen und in Zukunft verhindern, dass gewisse Projekte zwischen Stuhl und Bank fallen.»

Urs Schnell weiss, dass die bewusst weit offen gehaltene Formulierung der «Get Going!»-Ausschreibung zu Beginn etwas verwirrend sein könnte: «Musikerinnen und Musiker wurden in den letzten Jahrzehnten durch die traditionellen Förderinstrumente auf ein gewisses Gesuchsdenken konditioniert. Uns geht es mit der neuen Ausrichtung darum, uns als Förderin auf die Künstlerinnen und Künstler zuzubewegen, um mit dieser Umkehr das freie kreative Denken wieder in den Mittelpunkt zu rücken.» Um die Möglichkeiten von «Get Going!» aufzuzeigen, werden deshalb im Laufe der nächsten Wochen sowohl auf der Website der FONDATION SUISA wie auch auf dem SUISAblog Porträts der Empfängerinnen und Empfänger der letztjährigen «Get Going!»-Beiträge veröffentlicht.

> www.fondation-suisa.ch

> www.suisablog.ch

blühen

Üppiges Spriessen braucht den richtigen Boden, im Bereich der Musik zum Beispiel günstige politische Rahmenbedingungen oder fundierte Ausbildung, während schöpferische Zyklen bei allen Musikschaffenden individuell verlaufen.

Titelbild: www.neidhart-grafik.ch
blühen

Üppiges Spriessen braucht den richtigen Boden, im Bereich der Musik zum Beispiel günstige politische Rahmenbedingungen oder fundierte Ausbildung, während schöpferische Zyklen bei allen Musikschaffenden individuell verlaufen.

Alle blau markierten Artikel können durch Anklicken direkt auf der Website gelesen werden. Alle andern Inhalte finden sich ausschliesslich in der gedruckten Ausgabe oder im e-paper.

Focus


Nicht jammern, sondern handeln

Voraussetzungen für eine blühende Künstlerkarriere


Es ist richtig, wenn man den Kulturbegriff weit fasst

Peter Keller, Min Li Marti und Rosmarie Quadranti diskutieren über kulturelle Blüte
PDF des Interviews


Es tönt aus dem Boden

Forschungsprojekt Sounding Soil


Cultiver son enseignement pour fleurir le chemin dʼaccès à lamusique

Chanter à lʼécole est beaucoup plus quʼun moment de détente


Lorsque les compositeurs éclosent, fleurissent ou sʼétiolent
Le parcours des compositeurs ne suit pas forcément une voie toute tracée


Der Kurtágs und anderer Blumenstücke

Etwas blüht auf und verwelkt wieder. Die «Ars longa» verhandelt die «Vita brevis»

 

… und ausserdem

FINALE


Rätsel
— Pia Schwab sucht


Reihe 9

Seit Januar 2017 setzt sich Michael Kube für uns immer am 9. des Monats in die Reihe 9 – mit ernsten, nachdenklichen, aber auch vergnüglichen Kommentaren zu aktuellen Entwicklungen und dem alltäglichen Musikbetrieb.

Link zur Reihe 9


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Benedikt Wieland

Foto: zVg
Benedikt Wieland

Was hat es in deinem Fall gebraucht, dass du dich als Musiker derart schön hast entfalten können?

Den Mut, den Willen und den Drang es trotzdem zu tun!
Ob ich mich dabei schön entfaltet habe, ist sehr relativ, sicherlich war und ist mein Weg nicht unbedingt gradlinig, dafür laufe ich mit zu offenen Armen, Augen und Ohren durch die Welt. Immer wieder entdecke ich etwas Neues, was mich fasziniert. Die Balance zwischen all meinen Tätigkeiten zu halten ist oft nicht einfach, aber ich empfinde es als grosses Glück, das zu tun was mir Spass macht.
Bei mir ist die Entfaltung ein stetiger Prozess indem es auch darum geht, Wünsche, Visionen und Erwartungen in Einklang mit meinem Handeln zu bringen.

Sind die Verhältnisse in der Schweiz einer musikalischen Entfaltung zuträglich oder hinderlich?

Für mich müsste die Frage lauten: Macht die Schweiz, ein Land mit einer hohen Lebensqualität und hoher wirtschaftlicher Stabilität, genug, um die musikalische Entfaltung zu fördern?
Ja und nein. Die Schweiz hat eine starke und vor allem sehr breite Kulturförderung, die uns natürlich viel ermöglicht.
Gerade in der Nischenmusik entsteht dadurch viel Spannendes, weil es dort leichter ist, einfach mal etwas auszuprobieren.
Mal abgesehen davon, dass die sozialen Verhältnisse in der Schweiz ja nicht besonders toll sind insbesondere für künstlerische Berufe oder allgemein für Leute, die nicht in erster Linie dem Geld hinterherrennen, wären die Voraussetzungen wohl gar nicht sooo schlecht.
Aber könnte man noch mehr tun? Definitiv. Geld zu haben ist nicht innovativ. Innovativ ist, was man daraus macht, und da tut sich die Schweiz schwer, mehr Farbe zu bekennen, gerade in unseren musikalischen Breitengraden. Ausserdem spielt die gesellschaftliche Denkweise eine grosse Rolle. Musik hat dabei noch lange nicht die Akzeptanz, wie zum Beispiel der Sport.
Ich kenne kein anderes Land, wo man mich nach meinem Beruf fragt und dann gleich nach gegebener Antwort nochmals nachhakt, was ich denn sonst noch mache …

Ist es für eine musikalische Selbstverwirklichung unabdinglich, ins Ausland zu gehen?

Nö, unabdinglich würde ich nicht sagen. Ich kenne so viele Musikerinnen und Musiker, die sich ohne längere Auslandaufenthalte ebenso verwirklicht haben.
Aber ich kann es trotzdem jedem empfehlen. Vor allem, wenn du den Drang verspürst, mal aus der «Wohlfühlzone» auszubrechen. Für mich ist Musizieren auch eine ständige Suche und mich würde es einengen, wenn ich nicht die Möglichkeit hätte, mein vertrautes Umfeld, meine Zone mal verlassen zu können.
Zudem finde ich all die neuen Eindrücke, die ich in einem fremden Land bekomme, sehr erfrischend: andere Lebensformen, andere Denkweisen, andere Menschen, andere Perspektiven … All das empfinde ich als grosse Bereicherung für meinen Weg. Und es ist doch auch spannend, die Schweiz mal von aussen zu betrachten, da sieht Vieles ganz anders aus, als wenn man drin lebt …
Ich habe jetzt natürlich vor allem vom Leben im Ausland gesprochen. Oder meintest du Touren? Bei Nischenmusik ist es natürlich unabdingbar, ins Ausland zu gehen, weil die Schweiz dafür viel zu klein ist. Wir müssen sofort raus. Am besten gleich am 2. Tag!:-)

 

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Benedikt Wieland ist Gründer und Mitglied der Band Kaos Protokoll.

 

kaosprotokoll.ch

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Fredy Studer

Foto: Ben Huggler
Fredy Studer

Was hat es in deinem Fall gebraucht, dass du dich als Musiker derart schön hast entfalten können?

Ich hatte enormes Glück: Ich wuchs in einer Zeit in die Musik hinein, wo es vor allem um Inhalte ging. Für uns war dies damals eine Rebellion – die Motivation war eine Mischung aus Lust und Widerstand (ein Zustand, der übrigens bis heute anhält). Es bestand damals – ohne nostalgisch zu sein – ein «atmosphärisches Klima», in dem die Ökonomisierung, der Anpassungsdruck und das Einschaltquotendenken noch nicht eine derart zentrale Rolle spielten, sondern das Ideal im Vordergrund stehen konnte. Dann gründeten wir 1972 die Band OM, eine verschworene Gemeinschaft, wo wir unsere Musik während zehn Jahren entwickeln konnten. Diese Situation legte für mich und die andern drei den Grundstein für unser Musikerdasein, das bis heute anhält.

Sind die Verhältnisse in der Schweiz einer musikalischen Entfaltung zuträglich oder hinderlich?

Damals beides. Hinderlich in dem Sinn, dass uns nichts geschenkt und auf dem Tablett serviert wurde. Mir wurden auch von Haus aus Steine in den Weg gelegt. Wir mussten kämpfen – und wir wussten wofür. Zuträglich, dass zu jeder Zeit schnell irgendein Job da war, wenn man Geld brauchte.

Heute sind die Möglichkeiten für eine musikalische Ausbildung auch in der Schweiz auf einem hohen Niveau. Das resultiert u. a. im hohen technischen Niveau der Instrumentalisten. Andererseits passiert etliches bloss an der Oberfläche und unter sehr bequemen Voraussetzungen. Deshalb stechen wahrscheinlich auch heute unter den vielen sehr guten Instrumentalisten relativ wenig fantastische Musiker hervor.

Ist es für eine musikalische Selbstverwirklichung unabdinglich, ins Ausland zu gehen?

In meinem Fall war dies nicht notwendig, da ich mit OM verschiedenen internationalen Musikern aufgefallen bin und somit in sehr vielen ausländischen Bands und Projekten mitwirken konnte, ohne z. B. nach London, New York oder Berlin zu ziehen. Insofern war ich auch ohne das Internet entsprechend vernetzt. Wenn sich dies aber nicht in diese Richtung entwickelt hätte, dann wäre ich wahrscheinlich auch ins Ausland gegangen.

 

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Fredy Studer ist der schubladensprengende Luzerner Perkussionist.

 

fredystuder.ch

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Michael Sele

Foto: Daniel Kraski
Michael Sele

Was hat es in deinem Fall gebraucht, dass du dich als Musiker derart schön hast entfalten können?

Als Schweizer Musiker wächst man aufgrund der Grösse, der Sprache und den Gegebenheiten des Landes mit vielen Einflüssen aus dem Ausland auf. Dabei hatte in meinem Fall vor allem englischsprachige Musik aus England und Amerika seit jeher eine grosse Faszination auf mich ausgeübt. Es war für mich deshalb unabdingbar, auf dem langen und schwierigen Weg, die eigene Handschrift und musikalischen Sprache zu finden, immer auch wieder aufzubrechen, um im Ausland und quasi aus der Ferne meine eigenen Stärken und Eigenheiten herauszufinden. Für mich war das einer der Schlüssel zu möglichst grosser Authentizität, die eigenen Wurzeln zu finden.

Sind die Verhältnisse in der Schweiz einer musikalischen Entfaltung zuträglich oder hinderlich?

Das ist eine schwierige Frage und ich würde sagen «weder noch».
Fakt ist aber schon, dass in unserem kleinen Land ein ausgesprochener Fokus auf die für den Mainstream produzierte Popmusik gelegt wird. Da wird auch enorm viel Geld investiert und das ist insofern auch etwas schade, da gerade in diesem Bereich die internationale Konkurrenz übermächtig ist und eigentlich kaum Chancen für einheimische Künstler besteht. Im Gegensatz dazu haben es immer wieder Künstler und Bands in diversen Genres geschafft, auch international beachtliche Erfolge zu feiern, die aus dem Independent Bereich kommen, die mit verhältnismässig wenig finanziellen Möglichkeiten und kaum Support durch die heimischen Musikbranche ihren Weg gegangen sind. Doch in diese Karrieren wird bedeutend weniger investiert. Ich habe in den letzten Jahren mit meiner Band in 25 Länder über 250 Konzerte gespielt, das wird aber beispielsweise bei der Swiss Music Award Auszeichnung für die beste Live Band nicht mal ansatzweise in Erwägung gezogen, weil es keine Popmusik ist. Gewinner sind Bands, welche innerhalb von ein paar Kilometern auftreten, Hauptsache, es ist Popmusik. Im Bereich der alternativen oder weniger kommerziellen Musikszene fehlt es zudem an genügend einheimischen Festivals oder Auftrittsmöglichkeiten, aber auch an Musikjournalisten und Fachleuten, die sich mit anspruchsvolleren Themen auseinandersetzen, die über einen entsprechenden Background verfügen, es fehlt an Spezialsendungen, Radio- oder TV-Formaten oder auch guten Netzwerken.

Ist es für eine musikalische Selbstverwirklichung unabdinglich, ins Ausland zu gehen?

Absolut, aber man muss sich bewusst sein, im Ausland als Schweizer Musiker oder Band keine Vorschusslorbeeren zu bekommen. Ich habe sogar die Erfahrung gemacht, dass es gerade in Deutschland eher kritisch gesehen wird und es einigen Durchhaltewillen braucht, um sich durchzusetzen. Man spürt schon auch immer noch viele Vorurteile. Die Schweiz wird halt weniger mit guter Musik in Verbindung gebracht, sondern leider immer noch vor allem mit Reichtum, Geld, Schokolade und Käse. Auch ist die Tradition von erfolgreichen Schweizer Künstlern einfach noch nicht in den Köpfen drin. Bands aus Skandinavien haben hier zum Beispiel enormen Bonus.
 

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Michael Sele ist mit the Beauty of Gemina ein Begriff für Fans aufwühlender Rockklänge.

 

thebeautyofgemina.com

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Andreas Ryser

Foto: Brigitte Lustenberger
Andreas Ryser

Was hat es in deinem Fall gebraucht, dass du dich als Musiker derart schön hast entfalten können?

Zuerst beantworte ich die Frage als Musiker: Ich glaube, wir haben bedingungslos an einem Projekt festgehalten, über viele Jahre hinweg. Irgendwann musste dies ein wenig erfolgreich gewesen sein, und wir hatten das Glück, etwas zu machen, das niemand sonst macht …Wir fanden unsere Nische. Und wir hatten mit Joy wohl einfach die grossartigste Sängerin, die in dieser Zeit in der Schweiz war …Wir haben von den Kultursubventionen profitiert, vor allem für die Auslandtourneen. Aber wir haben aus diesen Subventionen auch was gemacht. Und da wechsle ich nun den Hut: Ich war immer derjenige, der sich fürs Business interessiert hat, und auch daran, etwas Nachhaltiges aufzubauen, und die Kultursubventionen so einzusetzen, dass sie uns langfristig etwas bringen. Also statt tolle Gagen eben Promomandate usw.

Sind die Verhältnisse in der Schweiz einer musikalischen Entfaltung zuträglich oder hinderlich?

Wenn du eine Nische bespielst, dann musst du ins Ausland, aber nicht, um dich musikalisch selbst zu verwirklichen (wir haben auch in der Schweiz grossartige Musik gemacht, aber wir haben uns halt auch an keine Vorbilder oder Bands gehalten, wir haben einfach gemacht, was wir wollten, und das Glück gehabt, dass jemand das toll fand …), sondern um genug Publikum erreichen zu können. Das Problem sind halt immer die sehr hohen Lebenskosten in der Schweiz, wir hatten immer 20–30% Jobs nebendran. Wenn du das meiste Geld im Ausland verdienst, sind die Gagen in der Schweiz halt dann weniger wert …

Ist es für eine musikalische Selbstverwirklichung unabdinglich, ins Ausland zu gehen?

Ich glaube aber, und jetzt spreche ich als Manager und Label und Verlag, dass es schon viele Schweizerinnen und Schweizer gibt, die den Biss nicht haben und sich dann eben ziemlich schnell für den einfacheren Weg entscheiden. Wir haben in der Schweiz eine Arbeitslosenquote von 2% und es ist fast immer möglich, einen Job zu finden. Sich für die Musik zu entscheiden braucht als Musiker oder Musikerin auch Mut und viel Selbstvertrauen und wohl auch ein grossartiges Team, das Inputs und Feedback gibt.

Erfahrung kann dann eben auch den Erfolg bringen, wenn jemand ausserordentlich gut ist. Es gibt genug Beispiele, dass Musikerinnen und Musiker es nicht schaffen, erfolgreich zu sein, weil sie sich selber im Weg stehen und nicht verstehen wollen, wie es läuft, oder eben auch niemanden haben, der sie supportet. Und dies finde ich ein Problem in der Schweiz: Es hat zu wenig gute Leute in der Musikindustrie, die nachhaltig und mit viel Wissen Musikerinnen und Musiker weiterbringen und begleiten.
 

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Andreas Ryser ist mit dem Elektronikprojekt Filewile ebenso gut vernetzt wie mit dem Label Mouthwatering.

 

Mouthwatering Records

 

Filewile

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Nik Bärtsch

Foto: Claude Hofer
Nik Bärtsch

Was hat es in Deinem Fall gebraucht, dass du dich als Musiker derart schön hast entfalten können?

Es braucht vor allem Eigeninitiative: nicht jammern, sondern handeln. Ab einer gewissen lokalen Resonanz braucht es dann dringlich internationale Erweiterung, sprich Möglichkeiten, mit bereits sehr erfahrenen Leuten arbeiten zu können. Das fordert und macht Spass. Man lernt gleichzeitig ungeheuer viel und merkt trotzdem, dass die auch nur mit Wasser kochen – und das Wasser in der Schweiz ist bekanntlich ausgezeichnet.

Sind die Verhältnisse in der Schweiz einer musikalischen Entfaltung zuträglich oder hinderlich?

Grundsätzlich habe ich die Verhältnisse als sehr zuträglich empfunden: Wir haben genug zu essen und gutes Wasser zu trinken und gute Chancen, zu lernen. Dazu kommt eine grosse kulturelle Offenheit. Die Schweiz ist so etwas wie eine permanente Weltausstellung. Alles und alle kommen irgendwann mal hier vorbei. So kann man recht früh loslegen, beobachten und Risiken eingehen, seine eigenen Grenzen kennenlernen und erweitern. Gefährlich wird es, wenn man es sich wellnessmässig im Wohlstand bequem macht. Das funktioniert international nicht. In der Schweiz gibt es eine sehr gute und breite Kulturförderung, aber nur einen kleinen Markt. Das hat beides Vor- und Nachteile. Aber mit dem Markt hier kommt man mittelfristig auf keinen grünen Zweig.

Ist es für eine musikalische Selbstverwirklichung unabdinglich, ins Ausland zu gehen?

In unserem Bereich ganz klar. Die Schweiz ist zwar offiziell ein Land aber im Vergleich mit wichtigen grossen Musikländern wie den USA, Deutschland oder Grossbritannien, ist sie eigentlich eher eine Bonsai-Staat, so wie Tennessee oder Schottland. In den USA macht zum Beispiel eine Band erst die Tour um die Heimatstadt herum, dann im eigenen Staat, dann in denen darum herum, dann im ganzen Land und dann ev. noch in Übersee.
Bei uns bedeutet also der zweite Schritt bereits München oder Paris …
 

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Nik Bärtsch ist solo unterwegs, aber auch mit Ronin und Mobile.

 

nikbaertsch.com

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Joana Aderi

Foto: Mario Heller
Joana Aderi

Was hat es in deinem Fall gebraucht, dass du dich als Musikerin derart schön hast entfalten können?

Ich habe ein Umfeld gebraucht, das mich «machen liess». Die Narrenfreiheit einer Ausländerin kam mir da entgegen.
Grundsätzlich bin ich neugierig und sehr fleissig. Ich erschrecke mich manchmal selber mit meiner Selbstdisziplin. Aber die Motivation muss zu hundert Prozent von mir herkommen. Mein ganzes Lernsystem fällt sofort in sich zusammen, wenn mir von aussen etwas aufgezwungen wird. (suffering punk soul stellt sich quer.) Darum war eine Schweizer Musikhochschule für mich viel zu eng. An der Schule in Trondheim, Norwegen, habe ich dann den für mich essenziellen Freiraum gefunden. Ich bin unmittelbar aufgeblüht. Mein spätpubertäres Dasein erhielt im Norden oben die Möglichkeit, sich kompromisslos auszuprobieren, das heisst auch mal vollständig zu scheitern, um die eigenen Grenzen zu fühlen, mich kennenzulernen. Das hätte hier nicht in dieser Weise geklappt. Ich habe acht Jahre in Norwegen gelebt und hätte auch durchaus noch viel länger bleiben können. Für mich war es wichtig, mich ganz von der Schweiz abzumelden, um wirklich das Gefühl zu haben, ich falle ins Unbekannte hinein. Ein Atelier-Stipendium hat mich nie gereizt.

Sind die Verhältnisse in der Schweiz einer musikalischen Entfaltung zuträglich oder hinderlich?

Die Schweizer Verhältnisse: Crabs in a bucket mentality!! Das habe ich fast nicht ausgehalten. Du musst noch nicht mal Taten an den Tag legen, es reicht schon, etwas grösser zu denken und du wirst zurückgepfiffen. Ich habe schon im ersten Jahr Musikstudium gewusst, dass ich auf die experimentellen Bühnen Europas will, ich wollte nie Musiklehrerin werden. In der Schweiz wurde mein junger Traum immer perforiert, Luftschlösser sofort zum Einsturz gebracht. Also bin ich ins Ausland gegangen und habe es einfach gemacht. Und es hat funktioniert.
Wir haben uns in Trondheim oft unter Sängerinnen getroffen, uns unsere verschiedenen Stimmen präsentiert, zusammen Dinge ausgecheckt. In einer grundsätzlich wohlwollenden Atmosphäre, wo wir uns ob der Andersartigkeit der anderen gefreut haben. Wir haben uns gegenseitig gepusht. No more crabs. Die Krabben finde ich ganz schlimm und es war ein Hauptgrund, weshalb ich weg musste.
Jetzt bin ich zurück in der Schweiz und bin sehr gerne hier. Ich glaube, es hat sich ein bisschen verändert. Oder vielleicht fühlt es sich anders an, wenn man seine innere Haltung zur Musik gefestigt hat und nicht mehr so sehr vom Umfeld abhängig ist?


Ist es für eine musikalische Selbstverwirklichung unabdinglich, ins Ausland zu gehen?

Ich kenne wunderbare Musikerinnen und Musiker, die noch kaum je aus ihrer Kleinstadt herausgekommen sind. Ich bewundere das sehr, wenn Menschen am gleichen Ort, im gleichen Umfeld eine riesige Entwicklung durchlaufen können. Wie machen sie das bloss? Ich habe die Reibung im Unbekannten, wo ich unbekannt bin, unbedingt gebraucht, um mich zu erspüren.
 

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Joana Aderi ist in allerhand experimentellen Projekten engagiert.

 

Profil bei Helvetiarockt

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HEMU – A new direction

A woman at the head of the Haute Ecole de Musique Vaud Valais Friborg and the Lausanne Conservatory.

The Haute Ecole de Musique Vaud Valais Friborg (HEMU) is an educational institution recognized for its demanding and comprehensive training, as well as for its complicity with professional circles and its commitment to musical life. Multidisciplinary and multi-style, it covers all training profiles in classical, jazz and contemporary music. The HEMU is located in the heart of Europe and French-speaking Switzerland, and offers university-level education to more than 500 students of 39 different nationalities. Emphasizing both theory and practice, its Bachelor’s and Master’s study programs are established in such a way as to promote good access to the professional world. Its teaching staff, made up of many internationally renowned artists, guarantees its students high-level supervision. Historically present in the Lausanne Conservatory (before the Bologna reform), classical music has been taught at the HEMU for more than 150 years. Alongside it, the jazz and contemporary music departments, offered exclusively in French-speaking Switzerland, were created in 2006 and 2016 respectively. tradition, creation, research and development always with the aim of achieving, and helping to achieve, excellence. Each year, the HEMU produces more than 300 public performances: concerts, workshops, etc. The masterclasses given by prestigious musicians and the partnerships concluded with world-renowned institutions provide students with rewarding educational experiences and, above all, allow them to create a network. Its Bachelor and Master studies are accredited by the Swiss Confederation and recognized internationally. Since 2009, the HEMU has been part of the ‚Music and Performing Arts‘ area of ​​the Western Switzerland University of Applied Sciences (HES-SO), the largest network of higher professional training in Switzerland, which had nearly 21,000 students. at the start of the 2018-2019 school year.

Matthias von Orelli — Noémie L. Robidas, violoniste et jusqu’alors directrice du Département spectacle vivant de l’Institut supérieur des arts de Toulouse, est la nouvelle directrice générale de ces deux institutions. Québécoise, elle est au bénéfice d’une ample expérience professionnelle, tant comme musicienne, pédagogue, chercheuse que directrice d’établissement.

Madame la directrice, je suis heureux que vous preniez le temps de parler avec nous. Vous avez repris la direction il y a quelques mois. Quelles sont vos premières impressions ?

Je suis heureuse et enthousiaste d’être à la barre d’un si beau voilier qui accueille en son sein des musiciens depuis leur plus jeune âge jusqu’à l’obtention d’un Master. J’ai l’impression de pouvoir contribuer à tout un écosystème de la musique. J’y ai trouvé des équipes professorales et administratives motivées, fières de travailler à l’HEMU-CL. J’ai aussi fait la connaissance des élèves et étudiants qui sont nombreux et pleins de talent ! Cela est pour moi une grande source d’inspiration !

Vous connaissez la Suisse depuis longtemps. Votre perception du pays a-t-elle changé depuis que vous occupez ce nouveau poste ?

La Suisse est un pays où j’ai pu séjourner ponctuellement depuis une dizaine d’années et duquel je me sens proche en effet, probablement de par mes origines québécoises. Étrangement, d’un point de vue professionnel, je me sens plus à la maison en terres helvètes qu’en France où j’ai vécu les 7 dernières années. Je crois que cela tient dans le fait d’y retrouver des valeurs de simplicité et d’accessibilité à la hiérarchie sans que cela ne remette en cause le respect des fonctions. Je crois aussi retrouver en Suisse cette recherche collective de consensus. Évidemment, l’accent est différent ! (rires)

Vous êtes confrontée à une institution qui a traversé une période de crise et de tensions, ce qui a obligé l’ancien directeur à quitter ses fonctions. Est-ce que cela a affecté votre travail ?

Je vous mentirais en vous disant que cela n’affecte pas du tout mon travail. Je dois aider l’équipe à hisser la grande voile après la tempête. Certains ont encore la crainte que le vent ne s’agite à nouveau, mais c’est normal. Ce que je sens, c’est que tout le monde a envie de regarder de l’avant ! Cet accompagnement du changement est propre à toute nouvelle gouvernance, c’est un défi que je suis prête à relever !

Différences et similitudes

Vous êtes originaire du Canada et travaillez en France depuis longtemps : quelles sont les différences – ou les similitudes ?

J’ai appris à connaître le milieu musical de la Suisse par le réseau des conservatoires et écoles de musique où j’ai eu la chance de donner des formations continues pendant de nombreuses années. J’ai aussi été initiée aux enjeux de la musique à l’école ayant effectué un remplacement à la HEP-Bejune durant 6 mois. Pour ce qui est de la scène musicale à proprement parler, j’apprends à la connaître maintenant. Je pense que les musiciens en Suisse comme en Europe, ont la chance d’avoir un bel accompagnement de l’état, de nombreuses structures musicales et un public qui valorise l’art et la culture. En Amérique du Nord, les musiciens doivent bien souvent autogérer tous leurs projets et initiatives. Les qualités d’entrepreneur sont là-bas presque aussi importantes que le talent pour la réussite d’un musicien.

Vous avez une carrière très internationale. Comment percevez-vous les Hautes Ecoles de Musique Suisse en comparaison internationale ?

Ce sont de beaux établissements qui offrent des formations de grande qualité qui sont, selon moi, vraiment compétitives à l’international, c’est d’ailleurs ce qui explique notre grande attractivité et le fait que nos étudiants proviennent de partout dans le monde !

Les Hautes Ecoles de Musique suisses font également face à de grands défis. Lesquels sont les plus impor-tants et les plus urgents à votre avis ?

Je crois que le principal défi d’avenir de nos écoles relève de leur capacité d’adaptation face à un milieu professionnel en constante évolution. Nos hautes écoles doivent non seulement être à la page des besoins de leurs étudiants mais également anticiper le contexte auquel leurs diplômés seront confrontés dans 10-15-20 ans. Aujourd’hui, il ne suffit plus d’être un excellent instrumentiste pour réussir et vivre de la musique. Il faut donc doter nos étudiants d’un vaste portefeuille de compétences pour leur assurer un avenir professionnel. Il faut pour cela notamment remettre certaines de nos habitudes pédagogiques en question, revoir les plans d’études fréquemment.

Récemment, un journal suisse a déclaré que de nombreux musiciens vivent souvent pour la musique, mais pas de la musique. En Suisse, peu de gens choisissent la musique comme profession. D’une part, cela est dû au fait qu’en Suisse, les enfants ne sont pas spécialisés dès le plus jeune âge, ce qui est essentiel pour la musique, mais qu’ils se voient proposer différentes options. D’autre part, beaucoup de Suisses ne sont pas disposés à vivre uniquement «  pour  » la musique, ils veulent vivre «  de  » la musique. Où voyez-vous en ce cadre votre école ?

Cela est une grande question ! Je crois que l’HEMU-CL doit jouer une carte pour dynamiser l’écosystème suisse romand de la musique en accompagnant mieux les talents du territoire. Présente dans les cantons de Vaud, Valais et Fribourg, je crois plus que jamais que l’HEMU-CL doit agir en synergie avec les conservatoires et les écoles de musique pour que nous puissions créer chez les jeunes l’envie de se surpasser en leur donnant des modèles, en créant des systèmes de mentorat, en incitant les professeurs et directeurs des différentes institutions à travailler encore plus main dans la main. Nous devons troquer les idées de concurrence pour des idées de complémentarité.

La digitalisation est un sujet omniprésent. Où voyez-vous les opportunités de cette technologie pour votre Haute Ecole ?

Je dois avouer que nous avons un peu de retard de ce côté. Que ce soit des environnements numériques d’apprentissage, des applications, la mise en place de communautés numériques liées à l’apprentissage, le travail en studio d’enregistrement, il y a plusieurs opportunités à saisir qui sont efficientes et beaucoup plus accessibles qu’on y croit. D’ailleurs, nous inaugurerons un studio de grande envergure au Flon dès l’automne ! Mais, nous devons garder en tête que toutes ces innovations technologiques doivent rester au service de la pédagogie et de la musique.

Dialogue constructif

Vous avez dit que vous souhaitiez un dialogue constructif au sein de l’institution et que l’innovation et la créativité sont aussi importantes pour vous que l’excellence. À quoi cela ressemble-t-il dans la mise en œuvre concrète ?

Je crois que nous ne nous représentons pas aujourd’hui tous les défis écologiques et sociétaux à venir. En ce sens, bien que l’excellence reste pour moi une valeur fondamentale pour l’HEMU-CL, il me paraît primordial de former des musiciens davantage ouverts sur les enjeux du monde actuel et capable d’agir grâce à leur art à l’évolution de notre société. Concrètement, nous devons leur apprendre à diversifier leurs pratiques en terme esthétique, nous devons provoquer les rencontres avec d’autres formes d’art, avec la création d’aujourd’hui, avec des publics diversifiés. Les étudiants doivent apprendre certes à défendre un patrimoine musical, une esthétique et leur instrument, mais doivent impérativement développer une inventivité qui devra sans cesse être renouvelée. Cela est l’un de nos grands défis en tant qu’École !

Although I like several musical styles, my heart always comes back to an inexhaustible source of inspiration: Jean-Sébastien Bach… and, being a trained violinist, when I have a little free time (laughs), I dive back into happiness in the manuscript version of his Sonatas and partitas. His simple pen already lets the music be heard.

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