Musikliebende Tiere

Videos von Klavier spielenden Hunden oder Melodien miauenden Katzen werden auf Youtube millionenfach angeschaut. Aber jenseits von Manipulation und der Übertragung menschlicher Betrachtungsweisen ist anzunehmen, dass die Tierwelt wohl wenig musikliebend ist.

Wenn Sie auf dem Klavier ein C spielen gefolgt von einem D, dann ist die Wahrscheinlichkeit, dass das anschliessende Miauen Ihrer Katze genau der Höhe eines E entspricht, etwa so gross, wie dass ein rotes Auto vorbeifährt, nachdem Sie bereits ein blaues und ein weisses gesehen haben. Wenn man aber in Betrachtung zieht, dass es viel weniger Autofarben gibt als mögliche Frequenzen von Katzenmiauen, dann ist es weit unwahrscheinlicher, dass Ihr Haustier die Tonleiter weiterführt, als dass eine Autokolonne die Farben der Trikolore vervollständigt. Um Katzen dazu zu bringen, die traditionellen Tonschritte der menschlichen Musik einzuhalten, könnte man für das Lernen von Terz oder Quinte pawlowsche Dressurmethoden einsetzen. Die am häufigsten eingesetzte Methode bleibt aber heutzutage die Videomanipulation. Das ist ethisch eher vertretbar, stützt aber das Vorurteil, Tiere seien in Sachen Musik grundsätzlich irrelevant. Einige Youtuber haben Videos hochgeladen mit dem Titel «cat perfect pitch» und darauf gewartet, dass ihre Katze ein C von sich gibt. Dieses montierten sie dann als Schlusspunkt nach der gespielten Reihe C-D-E-F-G-A-H. Oder sie passten das Miauen elektronisch der gespielten Tonleiter an. Was diese Filmchen, auch wenn sie gefälscht sind, so faszinierend macht: Sie nähren die Illusion – und unterstreichen damit die Unmöglichkeit – dass Katzen eine Vorstellung von harmonischer Richtigkeit haben könnten. Es sei denn, sie würden immer auf dieser Tonhöhe miauen oder seien ausreichend trainiert. Unter der Annahme anderer «Pfotenflüsterer»-Hypothesen könnte man die Diskussion unaufrichtig und mehr oder weniger parodistisch noch etwas weiterführen: Vielleicht miauen Katzen nicht auf der richtigen Tonhöhe, weil sie ein gänzlich anderes musikalisches Sensorium haben als wir. Oder: Sie wollen uns auf keinen Fall merken lassen, dass sie ein Faible für Puccini-Opern haben. Oder sogar: Sie sind zum Glück nicht so dumm wie die Menschen, die das absolute Gehör für ein Geschenk der Natur halten.

Autotune und Singvögel

Videos, die das sanfte Heulen eines Hundes über Autotune abspielen, legen nahe, dass Hundegesang nur mit technischer Unterstützung perfekt sein kann. Die Musikalität der Tiere hinge also von Spezialeffekten ab. Die Kombination Tier-Plug-in ist eine Spielart 2.0 des Anthropomorphismus, der sich gerne einschränkt, um zu überdauern. Die Vögel, die am besten singen, sind bei denen, die es weniger gut können, nicht unbedingt am beliebtesten (um der Hypothese zu entsprechen, wonach «sich die Natur weniger ihr Recht zurücknimmt, als dass sie ihre Aufgaben neu erfindet, soweit, dass sie uns verpflichtet, den Vögeln zuzuhören, die, überdeckt von den Schreihälsen, weniger deutlich singen».) {Anmerkung 1} Die Auswahl, welches denn die Singvögel seien, stützt sich jedenfalls offensichtlich auf Kriterien menschlicher Musik. François-Bernard Mâche versetzt sie in menschliche Massstäbe: «Von den rund 8700 Vogelarten sind 4000 bis 5000 Singvögel. Davon haben 200 bis 300 so variierte Gesänge, dass sie musikalisch interessant sind. Das ist übrigens ein 50 bis 100 Mal höherer Prozentsatz, als es Profimusiker im Verhältnis zur Gesamtbevölkerung Frankreichs gibt.»{Anmerkung 2} Wie die Versuche der Youtuber, die ihre Katzen und Hunde auf Pavarotti trimmen, gehören auch die Bemühungen von François-Bernard Mâche, mit der Musikalität der Vogelgesänge zu spielen, in die Kategorie der technischen Manipulation. Beispielsweise wenn er eine mehr oder weniger repräsentative Auswahl an Vogelstimmen über eine Cembalo-Partitur anordnet.

Beethoven für Elefanten

Wenn man auf Youtube einen Hund ans Klavier treten sieht, ohne Manipulation, ist man verblüfft, nicht nur amüsiert. Mag dieser Hund das Klavier oder, genauer, hält er sich für einen Menschen? Ist es ein dressierter Hund oder einer der sich spontan musikalisch betätigen möchte? Auch ohne einen direkten Befehl seines Herrchens ist sein Verhalten den musikalischen Menschen, mit denen er lebt, abgeschaut. Videos mit Tieren, die musikalische Situationen zu lieben scheinen, sind extrem beliebt. Die Kameraeinstellungen werden also so gewählt, dass sie die Musikalität der Tiere zu bestätigen scheinen. Aber bei aller Rührung über ein Filmchen, das Elefanten um ein Klavier versammelt zeigt, auf dem ihnen Paul Barton die Pastorale vorspielt, kann sich auch jeder fragen, ob die Elefanten wirklich Beethoven lieben oder nicht eher die Äpfel, die um das Klavier herum liegen. Vielleicht sind es Elefanten, die jenseits von Bartons Klavierkünsten, den Austausch zwischen verschiedenen Tierarten mögen. Wenn hier Anthropomorphismus vorliegt, wenn die Fixierung auf den Menschen die Deutung der Situation verfälscht, dann beweisen diese Freiluftkonzerte vielleicht weniger die Musikaffinität der Tiere als die Empathie des Pianisten für die Elefanten. Jemandem Beethoven vorzuspielen, ist ein Zeichen der Sympathie und wird als solches wahrgenommen. Die offiziellen Geschichten über diese Videos mit Hunderttausenden von Klicks werden von einer Logik der Fürsorge genährt. Es handelt sich um geschundene Tiere, die in einem Park in der thailändischen Provinz Kanchanaburi aufgepäppelt werden. Paul Bartons Rezitals sind eine Therapie, um «ihre körperliche Gesundheit und ihre Seele wieder aufzubauen».{Anmerkung 3} Der Glaube an die wohltuende Wirkung der Musik auf die Tiere ist bestimmt ein entscheidendes Element bei der Bindung, die der Pianist mit den Elefanten zu knüpfen vermag, auch ohne den Beweis, dass Beethoven oder Chopin eine sichtlich heilende Kraft auf die Tiere ausübt. Immerhin sind diese Konzerte musikalische Darbietungen eines Menschen, der sich von anderen Menschen löst und lieber den Dickhäutern etwas vorspielt als seinen musikliebenden Mitmenschen.

{Anmerkungen}

1 Cora Novirus, «Oiseaux et drones», Multitudes n° 80, Herbst 2020, S. 150
2 François-Bernard Mâche, Musique – Mythe – Nature, Éditions Aedam Musicae, 2015, S. 116
3 Paul Barton, cité par Philippe Gault, «Les singes affamé en Thaïlande, apaisés par Beethoven grâce au pianiste Paul Barton», www.radioclassique.fr


 David Christoffel

… ist Poet und Komponist, Radiomacher und Forscher. Er widmet sich der Poesie und der Musik in spezifischen Umfeldern.