Herkulesaufgabe/Travaux d’Hercule
Anmari Mëtsa Yabi Wili, Präsidentin des Forums Musik Diversität FMD, beantwortet die Fragen der Schweizer Musikzeitung zu Corona.
Anmari Mëtsa Yabi Wili, Präsidentin des Forums Musik Diversität FMD, beantwortet die Fragen der Schweizer Musikzeitung.
Wie geht es Ihnen und dem FMD nach diesem Jahr?
Das Vakuum im kulturellen Leben schlägt sich natürlich bei Institutionen wie privat nieder. Es wäre gerade akut wichtig, Veranstaltungen zu planen, um den Zusammenhalt zu kultivieren und neue Mitglieder anzulocken. Vielleicht werden gerade aus diesem Mangel heraus andere Möglichkeiten gefunden, um am kulturellen Leben teilhaben zu können, z. B. eine neue Mitgliedschaft bei einer kulturellen Vereinigung!
Ich persönlich? In meinem ganzen Leben war ich noch nie so gesund. Ich bin zum Glück mehrfach beschäftigt. Veranstaltungen mit Publikum sind üblicherweise locker über das Jahr verteilt, also leide ich nicht unter einer akuten Lebensveränderung. Dazwischen schreibe ich viel, kreiere neue Werke und Projekte. Mein Atelier im Frachtraum meines Kulturfrachters Lorin ist gegebenermassen mobil, was ich gerade jetzt bei den erdrückend fremdbestimmten Zeiten auskoste bis ausnütze. Seit November arbeite ich mehrheitlich in Deutschland und Holland an meinen nächsten Projekten. In der Pandemie gehört zur Schifffahrt ein Formular für Dienstreisen, welches mir mit meiner Crew freies Überqueren der Grenzen auch zu Fuss und per Auto, Flugzeug oder Zug erlaubt.
Eine Freude erfüllt mich, dass ich schon Jahre vor Covid eines meiner zentralen Projekte begann: die jährlich neu konzipierten Performancefahrten mit Lorin, welche perfekt auch mit Corona funktionieren: Erst jetzt bemerke ich die Verwandtschaft zur Street-Art. Es wird zwar publiziert, an welchen Abenden wir von wann bis wann fahren werden. Aber es werden keine Gäste an Bord genommen, es braucht keine Tickets, keine Bestuhlung. Die Menschen bewegen sich ganz frei im öffentlichen Raum, ob wir da sind oder nicht. Wir haben eine feine, zarte Sprache gefunden und können damit zeitgenössisch experimentell bei unseren Leisten bleiben. Und trotzdem passen wir sogar bei Dunkelheit, somit für einen grossen Teil der Bevölkerung zur Schlafens- oder Einschlafenszeit, in die grosse breite Gesellschaft, auf den Rhein inmitten der Basler Bevölkerung. Ein Modell, das wir gerade am Übertragen sind auf weitere europäische Städte am Wasser.
Zu guter Letzt: Es ist eine anstrengende Zeit. Jede Idee braucht 5-mal mehr Hintergrundarbeit. Alle Beteiligten brauchen 5-mal mehr Nerven, dabei bewegen wir uns so schon in einem sehr nervenaufreibenden Beruf.
Was ist für Sie besonders einschneidend an der Corona-Zeit?
Krass finde ich, dass alle Theater, Konzertsäle, Kinos, Museen, Probelokale, Jugendtreffs geschlossen, Frauen- und andere Demos verboten sind, während volle Flugzeuge, Trams, Weihnachtsrummel, Fussballpartys, zu zwei Dritteln ausgelastete Stehkabinen der Gondelbahnen, Bergrestaurants und Gottesdienste gefördert werden. Damit wird der Verlust von hohen Kultur- und Bildungslevels akzeptiert.
Sehr überrascht bin ich, dass sich die Allgemeinheit, mit weltweit abgeglichenem Narrativ, wie in einer Art Schocklähmung, mal in diese, dann in die andere Richtung bewegt. Dass nicht meine Ärztin, sondern die Bundesrätin sagt, was für uns gesund sei, dass ich mein Grosskind umarmen, aber nicht hüten soll. Auch dass uns vom Bundesrat weisgemacht wurde, wir hätten die «medizinischen und finanziellen Mittel» für einen Lockdown, hat mich erschreckt. Immerhin fehlen in allen kulturellen Sektoren regelmässig grosse Mengen Geld und gibt es auf der Welt ewige ernsthafte Probleme wie Flüchtlingsströme und Hungersnöte.
Die psychischen Auswirkungen finden viel zu wenig Beachtung, dabei gilt es in erster Linie, ein ganzheitlich gesundheitliches Problem zu meistern. Es ist, als wären wir um Jahrzehnte zurückgeworfen, als Homöopathie oder Akupunktur Fremdwörter, Gender und LGBT etc. Fremdwörter waren. Gerade waren die diversen Bedürfnisse der Gesellschaft in einem Prozess der Aufmerksamkeit angelangt, gerade wurden die Fühler nach Entwicklungsmöglichkeiten ausgestreckt, gerade begannen fortschrittliche Projekte – was nun alles wieder mehr oder weniger brachliegt.
Ich würde so gerne positive Töne anschlagen, und es gelingt mir bei dieser Fragestellung leider nicht, das ist wohl das Krasseste am Ganzen!
Wie verändert die Corona-Zeit Ihrer Meinung nach den Musikerberuf und/oder Ihren Verband?
Es ist die Zeit der Selbstreflexion: Die Selbständigen suchen neue Formate, die Angestellten bangen um ihre Zukunft. Menschen suchen neue Verbindungen. Das Publikum findet teils neue, interessante Wege, sich mit Kultur zu beschäftigen. Bedrohlich ist, dass nicht nur von unserem Publikum, sondern auch in unseren aktiven Kreisen versucht wird, die Livekultur mit dem Internet zu ersetzen. Einbussen an Qualität und Bildung werden in einer allgemeinen passiven Art von Depression oder Hoffnungslosigkeit geduldet. Schlussendlich vertraue ich aber der Kraft und dem Verstand der Menschen: Nach genügend langem Schlummern macht sich erfahrungsgemäss eine unaufhaltsame Energie breit, um die Krise zu überwinden und das Leben in gestärkter Eigenregie anzugehen. Ich denke, die Streetart kann sich zu einem wichtigen Kulturzweig entwickeln.
Welche Frage möchten Sie dem Bundesrat stellen? Oder was wünschen Sie sich von ihm, damit die Musikszene wieder auflebt?
Mein Wunsch an den Bundesrat ist: Unsere freie Arztwahl gibt ein farbiges Bild unserer diversen und eigentlich im Vergleich zu anderen Kulturen freien Gesellschaft ab. Bitte überlassen Sie Verhaltensentscheide dem medizinischen Fachpersonal. Ärztlich verschriebene Massnahmen werden in der Regel einfach verstanden und auch eingehalten. Es sind doch die Ärztinnen und Ärzte, die uns durch gesundheitliche Krisen begleiten, die anhand ihrer Unterlagen Menschen mit Risiko rechtzeitig warnen und schützen können, um den robusteren Menschen durch alle Generationen ihre Freiheit weiterhin zu ermöglichen. Ich bin auch überzeugt, dass das medizinisch therapeutische Fachpersonal kulturelle und soziale Aktivitäten als gesundheitlich wichtigen Teil des Lebens einstufen und diese somit fördern wollen. Diese Stimmen brauchen wir dringend!
Bitte kreieren Sie neue, einfach durchschaubare Unterstützungsformate speziell für Kultur und Bildung, die innert nützlicher Frist umsetzbar sind.
Wenn Sie sich Musik, ein Buch oder einen Film zu Gemüte führen, bitte bedenken Sie: Diese «Produkte» entspringen einer oft schon in jungen Lebensjahren oder in wichtigen jugendlichen Treffen beginnenden Berufsentwicklung. Bitte machen Sie das möglich.
Veranstaltungen in allen Formen müssen mit bestem Vertrauen in die Menschen ganz rasch wieder möglich sein. Das richte ich gerne speziell an meine Vorgängerin, Frau Bundesrätin Simonetta Sommaruga, frühere Pianistin und frühere Präsidentin des FMD, ForumMusikDiversität Schweiz.