Walkman - unterwegs mit meiner Musik

1979 auf den Markt gebracht, hat der Walkman den Musikgenuss revolutioniert, indem er das Hörerlebnis an jedem beliebigen Ort und zu jeder beliebigen Zeit möglich machte.

Alles begann ausgerechnet in der Schweiz, genauer gesagt in den Wäldern rund um St. Moritz. Wir befinden uns im Februar 1972 und Andreas Pavel spaziert mit seiner Verlobten durch die Wälder, die das Engadiner Dorf umgeben. Es schneit, sie sind inmitten der Natur und beschliessen, ihr Experiment zu starten. Sie setzen sich die Kopfhörer auf, Pavel drückt die Wiedergabetaste am Stereobelt, den er vor Kurzem konstruiert hat, und es läuft Push Push von Herbie Mann und Duane Allman, ihr damaliges Lieblingsstück. «Plötzlich war es, als ob wir flögen», wird er Jahrzehnte später erzählen, «ein unglaubliches Gefühl. Ich besass ein Gerät, mit dem ich das ästhetische Potenzial jeder beliebigen Situation vervielfachen konnte.»

Der Stereobelt war ein modifiziertes Diktiergerät mit einem Hi-fi-Lesekopf und zwei Ausgängen für die Kopfhörer, befestigt an einem Gürtel mit Fächern für die Batterien und einen Vorrat an Audiokassetten. Andreas Pavel, ein kosmopolitischer Philosoph und Designer deutscher Herkunft und in Brasilien aufgewachsen, hatte ihn in einem Mailänder Laboratorium zu seiner eigenen Unterhaltung entwickelt. Als er das Gerät patentieren liess und den grossen Elektronikfirmen anbieten wollte, bekam er eine klare Absage. Fast höhnisch fragten sie, wer sich denn jemals von der Welt abschotten wolle, um Musik zu hören?
 

1979: Der Walkman von Sony

Im Jahr 1979 brachte Sony den Walkman auf den Markt. Masaru Ibuka, Mitbegründer des japanischen Unternehmens, war es leid gewesen, für seine zahllosen Geschäftsreisen ein grosses Gerät in den Koffer zu packen, um seine bevorzugten Stücke zu hören. Deshalb hatte er die Firma beauftragt, eine kompakte Version davon zu entwickeln, die man auf sich tragen konnte, mit «Wiedergabe» als einziger Funktion und optimiert für den Gebrauch mit Kopfhörern. Die Idee, im Gehen Musik zu hören, gefiel dem anderen Sony-Gründer, Akio Morita. Und so wurde der Walkman geboren, der seinen Namen der damaligen Popularität von Superman sowie dem tragbaren Aufnahmegerät Pressman verdankte, dessen folgerichtige Weiterentwicklung er war. 

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Mädchen in Sportkleidern
Es zeigt einen Walkman und eine Kassette – die winzig klein aussehen. Das Bild aus der damaligen Werbung fasst sowohl die Idee des jugendlichen Tatendrangs und als auch der Bewegungsfreiheit perfekt zusammen.

Interessanterweise hatte der erste Walkman, auf ausdrücklichen Wunsch von Akio Morita und genau wie der Stereobelt, ebenfalls einen doppelten Ausgang für die Kopfhörer, so dass zwei Personen gleichzeitig hören konnten. Zusätzlich war er mit Mikrofonen und einer Taste «Hotline» ausgestattet. Damit wurde die Wiedergabe leiser gestellt und die beiden Personen konnten miteinander sprechen, ohne die Ohrstöpsel abzusetzen. Moritas Angst war die gleiche, die schon den Stereobelt am Aufkommen gehindert hatte, und wurde durch die Skepsis der ersten Wiederverkäufer bestätigt: Sie waren misstrauisch gegenüber einer entfremdenden Technologie, die die Leute dazu drängte, sich in unhöflicher Weise abzusondern, um ihre eigene Musik zu hören. Der Erfolg des Walkmans fegte aber jede Befürchtung beiseite: In den zwei ersten Monaten der Vermarktung wurden 30 000 Stück verkauft, und schon bald verlor er den doppelten Ausgang sowie die «Hotline»-Funktion,weil man es offensichtlich vorzog, das modische Gadget allein zu besitzen. Im Lauf der Zeit konnte die Marke Walkman die Technologie weiterentwickeln und schuf fortlaufend eigene, neue, tragbare Lesegeräte für CD und MP3. Bis heute wurden mehr als 200 Millionen Exemplare verkauft, während Andreas Pavel erst vor wenigen Jahren endlich den Rechtsstreit gegen den japanischen Koloss Sony um die Anerkennung seines Patents gewonnen hat.

Ein Symbol der Unabhängigkeit

Der Walkman – oder der Stereobelt, wenn man so will – kann ebenso wie Radio oder Fernsehen als eine der grossen Erfindungen betrachtet werden, die unseren Lebensstil im 20. Jahrhundert veränderten. An der Pressekonferenz zur Präsentation ihres Produktes im Juni 1979 brachte Sony die Journalisten in den Park Yoyogi in Tokyo. Sie erhielten Walkmans, um damit frei umherzugehen und sich eine Aufnahme anzuhören, die sie zu verschiedenen Demonstrationen von Jugendlichen führte. Diese fuhren Fahrrad oder skateten und benutzten ihrerseits einen Walkman. Der ganze Werbefeldzug drehte sich um die Unabhängigkeit in der Bewegung und den jugendlichen Tatendrang, auf den auch der Name des Produkts hinweist. Schon seit gut zwanzig Jahren existierten zwar tragbare Transistorradios, die – nicht allzu bequem – in der Hemdtasche steckten und die man mit Kopfhörern benutzen konnte. Der Walkman hingegen war revolutionär, weil er seinen Besitzern nicht nur Bewegungsfreiheit gab, sondern auch und vor allem die Freiheit in der Auswahl dessen, was sie hören und wann sie dies tun wollten. Er war die Antwort auf den Wunsch nach einem auf persönliche Bedürfnisse zugeschnittenen Musikkonsum, wechselnd und nomadenhaft im Vergleich zum Radiohören, das schon naturgemäss eine äusserliche Gemeinschaft herstellt. Man kann sagen, dass Radio und Fernsehen die Welt ins Innere der Häuser brachten, aber dass man mit dem Walkman begann, etwas von der eigenen häuslichen Intimität – die innerliche Intensität des abgeschiedenen Genusses seiner Lieblingsmusik und die Emotionen, die sie hervorrief – in die Aussenwelt zu tragen. Dadurch wurde die Wahrnehmung der Aussenwelt radikal verändert.

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Die ersten Modelle des Walkmans hatten zwei Ausgänge für Kopfhörer und eine «Hotline-»Taste für die Kommunikation der beiden Hörer. Man hatte Angst, ein Gerät, das zu sehr zur Isolation verleitet, könnte erfolglos bleiben.

Der Walkman-Effekt

Wenn man sich ein Paar Kopfhörer aufsetzt, kann man nicht nur auswählen, was man hören möchte, sondern auch, was man eben nicht hören möchte. Heutzutage begegnet man in einer städtischen Umgebung selten jemandem, der ohne Ohrstöpsel oder riesige Markenkopfhörer unterwegs ist. Das ist die pandemische Ausbreitung der allerersten soziologischen Auswirkung des Walkmans, die bereits 1984 von Shuhei Hosokawa beobachtet und in einer der ersten Studien «Walkman-Effekt» genannt wurde. Damit bezeichnete er den Gebrauch dieses Geräts als eine Schutzstrategie vor allem, was unangenehm ist in einer Stadt: der Lärm, die aufgezwungene Interaktion mit anderen Personen, die Überreizung aller Sinne. Mit den seither entwickelten technologischen Äquivalenten ist es heute offensichtlich unumgänglich geworden, taub zu sein gegenüber der lautstarken Invasion unserer Kultur. Am Anfang jedoch, als er noch seltener war, wurde der Walkman von vielen Menschen als störend empfunden (wie Akio Morita es vorausgesagt hatte), weil er eine Abschottung erzeugte, die die Beziehung zum Nächsten aus dem Gleichgewicht brachte. Wer ein solches Gerät benützt, verstärkt das eigene Erlebnis durch eine Tonspur, die er selbst auswählt und die seine Wahrnehmung der Wirklichkeit verändert, während derjenige, der mit ihm in Kontakt tritt, sich ausgeschlossen fühlt und irritiert ist. Durch die akustische Isolation, die andere Wahrnehmungen begünstigt, wird die Kommunikation beeinträchtigt.

Die Ästhetisierung der Wirklichkeit

Die Einstellung gegenüber dem Walkman war zu Beginn also ambivalent. Es wäre einfach gewesen, das Gerät zu verteufeln: Es hätte genügt, die Aufmerksamkeit auf die geistige Verarmung des Einzelnen zu lenken, der sich der Masse angleicht, indem er ein Modeprodukt benützt, um schlussendlich durch die Musik das eigene Unbehagen zu lindern statt gegen eine Welt anzukämpfen, die ihm nicht entspricht. Dennoch verpflichten sein kommerzieller Erfolg und seine technische Entwicklung, die von der Musikkassette bis zum mit unendlichen musikalischen Bibliotheken verknüpften Smartphone führte, auch dazu, die positiven Aspekte und das wirkliche Bedürfnis zur Kenntnis zu nehmen: Der Walkman und seine Nachfolger sind Mittel zur Bestätigung der eigenen Identität geworden, dadurch dass sie die Erfahrung der Wirklichkeit definieren und kontrollieren.

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Der Walkman, 1979 in den Handel gebracht: Innerhalb der ersten zwei Monate wurden 30 000 Exemplare verkauft.

Das geschieht in erster Linie, indem «der Realität eine Klangspur hinzugefügt wird». Sowohl Andreas Pavel als auch viele zu den Anfängen des Walkmans Befragte, gebrauchten wortwörtlich diesen Ausdruck. Das tagtägliche Erlebnis des Musikgenusses im inneren Raum der eigenen Kopfhörer nimmt ein filmisches Ausmass an. Der Beobachter wird zum Regisseur und der Beobachtete zum ahnungslosen Schauspieler. Es ist eine Art von Voyeurismus im Widerspruch zwischen der wirklichen Welt und jener empfindsam gesteigerten Welt des Beobachters. Passivität und Nichtübertragbarkeit steigern die reine Schönheit des Augenblicks. Das ist aber nur der erste Faktor einer kunstsinnigen Besiedlung der Realität, durch die der Hörer sich wieder der umgebenden Welt anpasst und die Kontrolle über viele ihrer Dimensionen übernimmt. Der junge Mann, der Musik ab seinem iPod hört und rennend unterwegs ist, kontrolliert seine räumliche Bewegung durch den Rhythmus der Musikstücke, der Pendler, der lange Strecken in den öffentlichen Verkehrsmitteln zurücklegen muss, versucht, die Zeit rascher vorbeigehen zu lassen, indem er sich mit Musikhören zerstreut; der Angestellte unterdrückt seine Gedanken und stabilisiert seine eigene Stimmung, während er seine Lieblings-CD hört bis zum Moment, in dem er den Fuss ins Büro setzt, während der Junge sich auf den Pisten des Skateparks selber anfeuert, indem die Playlist seiner bevorzugten Slammer läuft. Und offensichtlich alle, sowohl die in einem überfüllten Zug als auch jene auf der Strasse, zu schöne oder zu scheue oder solche, die nicht in der richtigen Stimmung sind, kontrollieren ihre sozialen Interaktionen und entscheiden über ihre eigene Erreichbarkeit. Sie tauchen ab in eine Blase aus Tönen, in eine Welt, die sie lieben, weil sie total privat und hedonistisch ist, geschaffen aus der Musik, für die sie sich entschieden haben und mit der sie eine enge Beziehung eingehen können.

Ob während der begrenzten Minuten einer Audiokassette oder in der virtuellen Unendlichkeit der Streaming-Portale: Diese Musik, die man häufig geniesst, ist nicht ein bestimmtes Album, sondern eine Zusammenstellung, eine Wiedergabeliste, hergestellt, um die Wirklichkeit persönlich zu gestalten und angepasst an bestimmte wiederkehrende Situationen. Es sind genau die Musikstücke, die wir brauchen für eine bestimmte Strecke, einen bestimmten Ort, bei einem bestimmten Wetter, um einzuschlafen, um zu studieren, um Erinnerungen an Personen oder Situationen wachzurufen. Und im Wesentlichen, um die eigene Identität auszudrücken und die eigene private Welt zu definieren, in der man frei ist, sich selber zu sein.
 

Gianluigi Bocelli

… ist Gitarrist, Musikologe und Schriftsteller