E-Learning an der Musikschule

Der Forschungsschwerpunkt Musikpädagogik an der Hochschule Luzern testete zusammen mit der Musikschule Sarnen die E-Learning Software «Smart Music». Ein Bericht.

E-Learning ist in aller Munde – aber taugt es auch für den Instrumental-/Vokalunterricht mit Kindern und Jugendlichen? Diese Frage stellte sich Roland von Flüe, Saxofonist und Dozent an der Hochschule Luzern und Initiator eines einjährigen Praxistests mit der E-Learning Software Smart Music. Ist heutzutage der Einsatz etwa von Laptop, Tablet oder Smartphone und dazugehöriger Programme oder Apps bereits gang und gäbe, scheint E-Learning noch wenig Eingang in den Instrumental- und Vokalunterricht gefunden zu haben. Ein kleines Pilotprojekt zur Ermöglichung erster Praxiseinblicke im Umgang mit einer E-Learning Software wurde an der Musikschule Sarnen, Kanton Obwalden, durchgeführt und vom Forschungsschwerpunkt Musikpädagogik der Hochschule Luzern fachlich begleitet. Am Projekt beteiligt waren drei Instrumentallehrer und drei Jungen im Jugendalter; da sich der Praxistest an der Interessenskonstellation der Schüler/innen ausrichtete, musste die einseitige Genderkonstellation in Kauf genommen werden. Für die Evaluation der E-Learning Software wurden Lehrpersonen und Schülern Vorlagen zur Führung eines Unterrichtstagebuchs zur Verfügung gestellt, weiter die Ausgangssituation bezüglich Motivation und Lernverhalten der Schüler als Vergleichswert zu möglichen Veränderungen im Verlauf der Pilotphase festgehalten. 

Funktionsweise der Plattform

Beim Testprodukt handelt es sich um Smart Music, eine Musik-Lernsoftware mit umfangreichen Funktionen. Die Lernenden spielen ausgewählte Musikstücke unter wahlweisem Einbezug interaktiver Tools ab ihrem Tablet oder Computer. Die kostenpflichtige Software wird im Lizenzsystem erworben. Eine Jahreslizenz für Lehrpersonen beträgt aktuell USD 140, jene für Schülerinnen und Schüler USD 40. Smart Music ist als geschlossene Software konzipiert, womit bereits ein wesentlicher Schwachpunkt genannt ist: Der Dateienimport ist lediglich im smp-, mp3-Format oder als konvertierte Finale-Datei möglich. Ein Export, wie etwa das Ausdrucken von Notenmaterial, ist, wohl aus Gründen des Urheberrechts, nicht möglich. Wird die Jahreslizenz nicht erneuert, gehen alle gespeicherten Daten und damit auch die angelegte Bibliothek, also das «Gedächtnis» der Nutzerinnen und Nutzer verloren.

Die Anwendung von Smart Music geschieht mittels Internetzugang durch den Computer oder das Tablet, wobei auch offline gearbeitet werden kann. Das Programm verfügt mit der interaktiven Notenspielanwendung für die Schülerinnen und Schüler, und einem von der Lehrperson einzurichtenden virtuellen Klassenraum über zwei zu unterscheidende Anwendungsebenen. Über die in Smart Music integrierte Notenbibliothek wird Notenmaterial zur Verfügung gestellt. Das von Lehrperson und Schüler oder Schülerin ausgewählte Musicsheet kann vom Anwendungsfenster abgespielt werden, das eigene Spielen der Noten kann zudem aufgenommen werden, wobei es durch die Software bewertet wird. Zur Optimierung der Aufnahmequalität empfiehlt sich – jedenfalls für die im Test eingesetzten akustischen Instrumente Klarinette und Saxofon – ein externes Clip-Micro. Spannend sind die zahlreichen Funktionen wie Transposition, Metronom und Stimmgerät, Looper, Stopp bei Fehlern, Tempowahl oder etwa die Zusammenstellung der Begleitung aus einem Pool von Einzelinstrumenten. Bei der «Follow me»-Funktion passt sich die Begleitung dem variablen Spieltempo an, eine hübsche Spielerei, die der Überealität sehr gut Rechnung trägt. Ein Cursor führt bei alldem jeweils durch die Notenlandschaften. Mittels «Customize» oder «Waite for note» können weitere Funktionen wahrgenommen werden. So ist Letzteres beim Erlernen neuer Noten hilfreich, weil dabei die Begleitung jeweils stoppt, bis die richtige Note gespielt wird. Fragezeichen ergeben sich zur Bewertungsfunktion, die lediglich Tonhöhen und rhythmische Parameter überprüft. Die Bewertung geschieht mittels farblicher Kennzeichnung und Prozentangabe. Der Lehrperson obliegt es dabei, ihren Schülerinnen und Schülern die engen Grenzen einer elektronischen Bewertung verständlich zu machen.

In einem von der Lehrperson einzurichtenden virtuellen Klassenraum werden den Schülerinnen und Schülern gezielte Aufgabenstellungen erteilt, deren Ergebnisse dann wieder abgerufen werden können. Das Lernverhalten der Schülerinnen und Schüler ist für die Lehrperson jederzeit einsichtig: Wann, wie oft und wie lange gespielt wird, und wie der Übeprozess verläuft, ist kontrollierbar. Da kann sich schon einmal ein Gefühl von «big brother is watching you» einstellen. Oder kommt in diesem Falle der gesellschaftliche Wert des Schutzes von Individuum und Privatsphäre nicht zum Tragen? Lehrpersonen sind jedenfalls gut beraten, ihren Umgang mit den Kontroll- und Bewertungstools den Schülerinnen und Schülern gegenüber proaktiv und transparent zu kommunizieren und deren Einverständnis einzuholen.

Die in der Lernplattform enthaltene umfangreiche Musikbibliothek bedient verschiedenste Musikstile und enthält neben einer breiten Palette an üblichen Spielstücken Unterrichtsmaterialien wie Tonleiter- und Blattspielübungen, Methoden, Etüden und Solostücke. Das spürbar für den amerikanischen Markt mit seinen zahlreichen College-Bands ausgelegte Spielmaterial vermag den Bedürfnissen europäischer Nutzerinnen und Nutzern nicht in allen Teilen gerecht zu werden, weshalb sich ein Unterricht nur mit Smart Music nicht empfiehlt. Von den am Test beteiligten Lehrpersonen wird insbesondere das etwas dürftige und unausgeglichene Literaturangebot im Segment Jazz bemängelt. Andererseits können die Materialien mit Begleitung gespielt werden, so auch jede Einzelstimme grösserer Arrangements, was als Plus zu werten ist: Denn welche Klarinettistin einer Jungmusik wünschte sich nicht, ihre vielleicht nicht gerade von schönen Melodien überquellende 3. Stimme zusammen mit dem gesamten Orchesterklang üben zu können!

Positive und problematische Aspekte

In der folgenden Aufstellung sind die positiven und problematischen Aspekte von Smart Music, wie sie sich im Praxistext gezeigt haben, zusammengefasst:

Positive Aspekte

  • Schüler und Schülerinnen (und Lehrpersonen) können sich in einer umfangreichen Notenbibliothek umsehen, sich die Stücke anhören und dabei Neues entdecken.
  • Übungen, Jazz-Arrangements und einfachere Stücke lassen sich in alle Tonarten transponieren.
  • Für die Begleitungen kann ausgewählt werden zwischen Klavier oder Ensemble, wobei die Samples der Begleitinstrumente hochwertig sind.
  • Über smp- oder mp3-Dateien können eigene Materialien in Smart Music importiert werden.
  • Durch den Gebrauch der Plattform (in Verbindung mit dem Notensatz-programm Finale) können Schülerinnen und Schüler zum eigenen Experimentieren mit Materialien und/oder zum Komponieren angeregt werden.
  • Die Nachverfolgung des Übeverhaltens ermöglicht es der Lehrperson, den Übeprozess der Schüler und Schülerinnen zu begleiten und ihnen individualisierte Übetipps zu vermitteln.

 

Problematische Aspekte

  • Die Installation der Software scheint nicht ganz problemlos zu verlaufen.
  • Ohne schnelle und stabile Internetverbindung ist die Nutzung nicht optimal. Die Online-Zugänglichkeit ist fehleranfällig, was zu vermehrten Ausfällen führt.
  • Die Notenbibliothek enthält nur eine vergleichsweise geringe Zahl von Jazz-Standards.
  • Der virtuelle Klassenraum ist unübersichtlich gestaltet.
  • Die Bewertungsoptionen bei Aufgabenstellungen folgen eindimensionalen Kriterien.
  • Das Programm erkennt gespielte Akkorde nicht (bspw. Gitarre).
  • Midi-Files-Begleitungen klingen im Gegensatz zu den Samples nicht besonders gut.
  • Bestimmte Arrangements sind für Europa nicht lizenziert.
  • Arrangements und Begleitdateien können nicht exportiert oder ausgedruckt werden, eigene Aufnahmen gehen bei einer Nichtverlängerung der Lizenz verloren.
  • Schüler und Schülerinnen können nicht von sich aus entscheiden, ob ihre Lehrperson das Üben nachverfolgt.

Ergebnisse des Praxistests

Für die am Test beteiligten Jungen war der Gebrauch der Lernsoftware zumindest anfänglich sehr motivierend, flachte dann aber auch wieder ab. Der Reiz des Neuen, verbunden mit den technischen Spielereien, scheint massgeblich zu diesem initialen Motivationsschub beigetragen zu haben. Einer der Schüler jedoch spielt mittlerweile lieber wieder in herkömmlicher Weise. Ein Schüler befand das Bewertungssystem als sehr motivierend, da es auf einfache Art Orientierung zu den Lernfortschritten verschafft. Auch die Möglichkeit zur Anpassung der Tempi wurde von einem der Schüler als positiv herausgestrichen. Gelungene Aufnahmen werden von den Schülern in der persönlichen Bibliothek abgespeichert und gesammelt, später gerne wieder aufgerufen. Die umfangreiche Notenbibliothek ermuntert Schüler und Schülerinnen zum selbständigen Stöbern und Entdecken neuer Musikwelten, obwohl sie möglicherweise eine kleine Starthilfe ihrer Lehrperson benötigen.

Von den Eltern erfuhr Smart Music eine durchwegs positive Beurteilung, wobei sie sich dabei wohl vor allem auf den beobachteten Motivationsschub und das veränderte Übeverhalten ihrer Kinder bezogen. Dass die Software nur in Englisch erhältlich ist, wurde von einer Mutter als ein gutes Beispiel von Praxisbezug des in der Schule Gelernten positiv vermerkt. Von den am Test beteiligten Lehrpersonen erfährt die Lernsoftware eine eher skeptische Beurteilung: «Die Software kann viele grundlegende Elemente der musikalischen Erziehung nicht genügend vermitteln», so Nils Fischer, Absolvent des Masters Musikpädagogik Jazz der Hochschule Luzern. Smart Music lasse auch wenig Spielraum zum kreativen Umgang mit dem gegebenen und eigenem Material. So sehr die Beurteilungstools motivierend sein können, verhindern sie doch die Kompetenz zur Selbstbeurteilung und Eigenverantwortlichkeit. Es fragt sich daher, ob das, was Smart Music aus einem Guss zu bieten verspricht, nicht besser durch eine Kombination verschiedener Programme erreicht wird. So kann ein virtuelles Klassenzimmer etwa auf Dropbox eingerichtet werden, Optionen für Arrangements und die Möglichkeit zur Temporegulierung von Begleitstimmen finden sich bei Band-in-a-box oder Finale.

Allgemeingültige Aussagen zum Verhalten der Schülerinnen und Schüler lassen sich aufgrund der geringen Anzahl Beteiligter in unserem Praxistest nicht machen. Es ist jedoch zu vermuten, dass sich technikbegeisterte Jugendliche davon angesprochen fühlen und mittels gezielter Aufgabenstellungen und Kontrollfunktion ihr Üben nachhaltiger ist. Marc Scheidegger, E-Gitarrist und Absolvent eines CAS für E-Learning sagt im Anschluss an den Praxistest: «Ich werde Smart Music nach Ablauf meines Testabos nicht mehr verlängern. In der Zwischenzeit gibt es für meine Zwecke besser geeignete und offenere Lernplattformen und Notenprogramme mit integriertem Notenshop, so etwa Moodle oder das Notationsprogramm Guitar Pro mit dem MySongbook Notenshop. Der Erfolg solcher Tools hängt meiner Meinung davon ab, wie intuitiv und einfach diese zu bedienen sind.» Der erste Teil dieser Einschätzung verweist auf einen der wichtigsten Punkte bei der Beurteilung von E-Learning Software: Die Eignung solcher Lernplattformen kann für die verschiedenen Instrumente sehr unterschiedlich ausfallen.

Eine in ihren Funktionen eingeschränkte Schülerversion von Smart Music (ohne Klassenraum-Funktion) kann gratis getestet werden – also: teste, wer testen mag! www.smartmusic.com

Weiterführende Informationen

Sind Instrumental-/Vokallehrpersonen Auslaufmodelle? – so die etwas zugespitzte Fragestellung von Nils Fischer angesichts der Lerngewohnheiten vieler Jugendlicher, die ein Instrument autonom und nur mittels Anleitungen im Internet erlernen. In Nils Fischers Masterarbeit sind Funktionsweise sowie Stärken und Schwächen von Smart Music anschaulich dargestellt.
Nils Fischer (2015): Erfahrungen mit «Smart Music». Masterthesis des Studiengangs Musikpädagogik. Luzern: Hochschule Luzern – Musik.

Zu beziehen bei: nils.fischer@gmx.ch

 

Informationen zur Entstehung und Geschichte von Smart Music (englisch)

www.gurufocus.com/news/120118/makemusic-mmus–niche-business-with-free-cash-flow-and-solid-balance-sheet-is-music-to-my-ears