Mit Goethe ins Reich der Hexen

Zur Uraufführung des 1. und 3. Aktes von Alfred Felders Oper «Walpurgisnacht» am 3. April 2025 in Winterthur. 2020 konnten Aufführungen wegen COVID-19 nicht stattfinden.

Die Komposition einer Oper ist das lange verfolgte künstlerische Vorhaben des in Luzern geborenen und in Winterthur leben­den Schweizer Komponist Alfred Felder (*1950). Am 3. April kommt nun in Zusam­menarbeit mit dem Musikkollegium Win­terthur, den Zurich Chamber Singers und Solisten unter der Leitung von Christian Erny im Stadthaus die Walpurgisnacht zur Uraufführung.

Dass der Weg dazu lang war, hat mit den grossen Hürden für Opernkomponisten zu tun. Die Stoffwahl und Libretto-Frage ist die eine, die andere der grosse Apparat, den seine Partitur verlangt. Im Frühjahr 2020 stand die Uraufführung bevor. Nur Tage vor dem Ereignis erfolgte wegen der Pan­demie der Lockdown, die Aufführung der ‹Walpurgisnacht› – Oper in 2 Akten nach Goethes ‹Faust› in der Tonhalle Maag am 27. und im Stadthaus Winterthur am 28. März mit dem Konzertchor Harmonie Zü­rich und dem Musikkollegium Winterthur konnte nicht stattfinden.

Überarbeitete Fassung

Nun, fünf Jahre später, handelt es sich nicht darum, das 2020 Erreichte aufzu­wärmen. Nach der langen Ungewissheit über das weitere Schicksal der Oper, der Neuaufstellung der musikalischen Kräfte, aber auch Felders weiterer Beschäftigung mit der Partitur ist die Uraufführung einem Phoenix aus der Asche vergleichbar. Die Szene der Trödelhexe ist dazugekommen. Im Ganzen haben sich Idee und Musik aber nicht geändert. Im folgenden sei deshalb hier der Text, der nach Gesprächen mit dem Komponisten 2020 entstand, noch­mals aufgelegt. Wir sprachen über sei­ne Beschäftigung mit Goethes Faust, über die Faszination der Walpurgisnacht und die Eigenart seiner Musiksprache.

Musste es Goethe und sein in zahllosen Ansätzen und Stilen vertonter «Allerweltsstoff»? Für Felder unbedingt: Das Faust-Drama habe ihn schon seit seiner Jugend fasziniert. Und überblickt man sein Schaffen, lässt sich sagen: Es steuerte auf diesen Stoff zu, genauer: auf die «Walpurgisnacht», jene Szene, die sich in der Tragödie zwischen die Szene im Dom – Margarethes Dies irae – und die letzten Szenen um Gretchens Hinrichtung schiebt. Anders als Goethes Drama integriert Felder in seinem selbst verfassten Libretto die Hexenszenerie nicht in die Tragödie, sondern die Tragödie in die Hexenszenerie.

Spontane Feier des Lebens

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Flyer unter Verwendung eines Bildes des Luzerner Künstlers Thyl Eisenmann (1948–2015) – Alfred Felders inspirierender Freund seit der Jugendzeit.

Die originelle Dramaturgie erklärt sich mit Felders Auslegung des geheimnisvoll-verruchten Hexensabbats: «Das zentrale Thema in der Walpurgisnacht sind für mich die Natur – und die Frauen als Schamaninnen. Ihr grosses Wissen über Heilkräfte und Urkräfte hat mich immer sehr beeindruckt. Ihre fröhlichen (Hexen-)Sabbate waren für mich immer eine sinnliche und spontane Feier des Lebens.» Mit der Sympathie für die Hexen korrespondiert die Abscheu vor deren Verfolgung. Als Hexenjagd empfindet Felder bei Goethe das Schicksal der Kindsmörderin und geht in seinem Libretto eigene Wege: «Ich lasse Gretchen am Ende meiner Walpurgisnacht nicht sterben. Sie hält uns als Rebellin den Spiegel vor und entlarvt damit die Verlogenheit dieser Welt. Sie soll an der Schwelle zur Hinrichtung Gnade erfahren, als Zeichen, dass das Patriarchalische unserer Welt einmal enden wird. Ein utopischer Schluss?»

Mystik und Schamanismus

Felders Sicht auf Goethes Werk lässt sich leicht zu aktuellen Diskursen in Beziehung setzen. Aber seine Musik gründet nicht in intellektuellen Debatten, sondern in Erfahrungen des «anderen»: In seinem Œuvre fällt die Präsenz des Schamanischen und Mystischen auf. Das Oratorium âtesh basiert auf Gedichten des persischen Mystikers Rūmī, und im Werkkatalog figuriert etwa auch der Nachtgesang für Flöte, Viola und Harfe, der einem Heilsritual der Navajo-Indianer nachempfunden ist. Als Cellist in der Kammermusik und Sinfonik zu Hause, bedient sich Felder auch als Komponist der abendländisch-tonalen Sprache, wenn auch in einer eigenen, freien Weise, die ihn von «Tonalisationen», von Färbungen der Tonalität, sprechen lässt: «Der Anfang der Oper ist in einer D-Tonalisation geschrieben, den Schluss (Tanz) habe ich in einer Es-Tonalisation komponiert. Die D-Tonalität habe ich sehr dunkel gefärbt, Es-Tonalität ist für meine Ohren eigentlich die hellste Tonalität. Also der Anfang in D, dann jede Szene in einer anderen Tonalität bis zum Schluss zur Es-Tonalität – der grösste Unterschied von dunkel und hell, aber in der Musik nur einen halben Ton auseinander, das heisst das kleinste mögliche Intervall, aber der grösste farbliche Kontrast.»

«Fremde» Klangmittel werden gezielt eingesetzt: Im Klaviertrio The second attention etwa ist es die Schamanentrommel; im ebenfalls von Rūmī inspirierten open secret, einem sozusagen «reinen» Violinkonzert, das für die Stammbesetzung des Musikkollegiums geschrieben ist, lässt er die Orchestermusiker flüsternd rezitieren. Das Neue um des Neuen willen habe ihn nie interessiert, betont Felder: «Das einzig Neue, das Sie möglicherweise in der Walpurgisnacht hören werden, sind die ungewohnten Schlagzeug-Klänge – Weinflaschen, Guetzlibüchsen, Zeitungspapier, Löffel, Whiskey-Container, in denen Murmeln kreisen – ein tolles Geräusch zum Auftakt des Hexentanzes.»

Das Fest der Nacht

Mit den Auftraggebern der Oper, dem Musikkollegium Winterthur ist Felder seit Langem verbunden. Für das Winterthurer Orchester hat er etliche Werke komponiert, darunter auch das vielfach gespielte Streichquartett Fremd bin ich eingezogen …) mit Bezug zu Schubert.

Mit der Umarbeitung zum abendfüllenden Bühnenwerk hat er das Panorama der Walpurgisnacht beträchtlich erweitert. Zu Faust (Tenor), Mephistopheles (Bariton) und dem Hexenchor kamen als weitere Figuren die Halbhexe und Schöne Hexe (Mezzosopran) und schliesslich nun auch noch die Trödelhexe (Koloratursopran). Zur Choraufgabe gehört auch der Gesang der Dominikaner-Inquisitoren. Sie künden Margarethes Hinrichtung an. Und dass diese dritte Hauptfigur in der Walpurgisnacht nicht mehr nur als Vision, sondern als leibhaftige Figur und Solopartie (Sopran) in Erscheinung tritt, ist die zentrale Entscheidung des Komponisten. Diese weist zum magischen Fluchtpunkt des Werks, das mit Margarethe und den Hexen – «welch unerwartet Meteor» – in das Fest der Nacht und die Frühlingsfeier mündet.

 

Walpurgisnacht

Oper von Alfred Felder nach Goethes Faust, konzertante Uraufführung des 1. und 3. Aktes

Stadthaus Winterthur, 3. April 2025

Orchester: Musikkollegium Winterthur

Chor: The Zurich Chamber Singers

Choreinstudierung: João Martins

Leitung: Christian Erny

Konzerteinführung 18.45: Hans-Ulrich Munzinger und Alfred Felder

 

Alexa Vogel (Sopran), Margarete

Sara-Bigna Janett (Sopran), Trödelhexe

Leila Pfister (Mezzosopran), Halbhexe / Schöne Hexe

Tino Brütsch (Tenor), Faust

Alexandre Beuchat (Bariton), Mephistopheles

 

Soirée (Werkeinführung): 1. April 2025

 

Anmerkung der Redaktion: Der Text von Herbert Büttiker wurde erstmals am 12. März 2020 veröffentlicht. Die aktuelle Version wurde den neuen Umständen entsprechend überarbeitet.

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