Eine Zauberflöte ohne Diskriminierung
Die Initiative «Critical Classics» hat sich zum Ziel gesetzt, die Libretti bekannter Bühnenwerke von rassistischen und sexistischen Stereotypen zu befreien.
Geht man als junge Frau in die Oper, muss man sich allerhand ansehen und anhören: Frauen auf den Bühnen werden entführt, ermordet, in den Wahnsinn getrieben, bevormundet oder negativ dargestellt, regelrecht auf den Altären der Oper geopfert. In Mozarts Zauberflöte scheint Pamina nur ein Spielball zwischen der rachsüchtigen Königin der Nacht und Sarastro zu sein und fällt hinter ihrem männlichen Gegenpart Tamino zurück.
Was tun mit den Opern aus vergangen Jahrhunderten, in welchen Sexismus, Rassismus und Diskriminierung aller Art enthalten sind? Die Initiative Critical Classics, die von Theatermanager und Regisseur Berthold Schneider gegründet wurde und vom Landesmusikrat Nordrhein-Westfalen unterstützt wird, hat sich dieser Frage angenommen und es sich zur Aufgabe gemacht, Libretti aus früheren Jahrhunderten kritisch zu lesen und sie gemäss modernen Standards in Bezug auf nichtdiskriminierende Sprache und Darstellung zu überarbeiten. Das Critical-Classics-Team, bestehend aus Opern-, Musik-und Theaterschaffenden, Autoren sowie Diversitätsberatenden, hat eine Neuausgabe des Zauberflöten-Librettos erarbeitet, die nun online frei verfügbar ist.
Die meistgespielte Oper zuerst
Bei Mozarts und Schikaneders Zauberflöte anzusetzen, macht Sinn. Sie ist die wohl berühmteste Oper überhaupt und enthält viel Problematisches. Zum einen ist da die Rolle des Monostatos, dessen Hautfarbe und Herkunft durchwegs negativ gedeutet werden. Die Beschreibung als «böser Mohr» und seine Aussage «Und ich soll die Liebe meiden, weil ein Schwarzer hässlich ist!» sind auf rassistischen Stereotypen basierende Darstellungen, die nichts mehr auf der Opernbühne zu suchen haben. In der Neuausgabe von Critical Classics wird Monostatos zum bösen Knecht, der zugleich der uneheliche Sohn von Sarastro ist. Dieser will ihn nicht als Erbe anerkennen, woraus sich ein plausibler Konflikt ergibt, der nicht rassistisch motiviert ist.
In Schikaneders Libretto ist für Pamina, Papagena und die namenlose Königin der Nacht die Unterordnung unter Männer die grösste Pflicht. Diese Darstellung von Frauen, die durch Verallgemeinerungen wie «Ein Weib tut wenig, plaudert viel» unterstützt wird, weicht in der Neuausgabe einem positiveren, selbstbestimmten Frauenbild. So behauptet sich Papagena selbstbewusst und schlagfertig gegen Papageno, und das vormals «schüchterne Reh» Pamina erhält eine zusätzliche Arie im vierzehnten Auftritt des ersten Aktes. Mozarts Konzertarie Nehmt meinen Dank, Ihr holden Gönner, mit einem neuen Text versehen, verleiht Pamina die Möglichkeit, sich selbstreflexiv zu zeigen und das Geschehene kritisch zu hinterfragen.
Ressourcen für individuelle Lösungen
Die Neuausgabe überzeugt, weil sie trotz Änderungen dem Originaltext treu bleibt, gut durchdachte Alternativen bietet, Kontexte erklärt und ausnahmslos jede Änderung dokumentiert und begründet ist. Nicht ganz konsequent umgesetzt sind die Ersetzungen von «Weib» und «Mädchen» mit «Frau». Ausserdem ist in der Neufassung die Rede von der «reinen Abkunft» Sarastros, im Gegensatz zu Monostatos’ unehelicher Herkunft. Diese Formulierung müsste nochmals überdacht werden, da sie ebenfalls problematische Konnotationen mitbringt.
Die Neuausgabe soll laut Critical Classics nicht als absolute Version gelten, sondern als Vorschlag für Produktionen dienen, in welchen eigene Anpassungen möglich sind. Die Stärke von Critical Classics liegt genau darin: im Schaffen von Ressourcen für Aufführungen und im Entfachen von Debatten darüber, was genau Libretti aus früheren Zeiten transportieren und wie damit umgegangen werden soll. Die Neuausgabe der Zauberflöte zeigt auf, dass Operntexte nicht unantastbar sind, sondern sich verändern müssen, damit die Oper weiterbestehen kann.
Als Nächstes sollen Bachs Johannespassion, Bizets Carmen und Puccinis Madama Butterfly überarbeitet werden. Libretto und Klavierauszüge mit dem veränderten Zauberflöten-Text, Noten der eingefügten Arie sowie weitere Informationen unter:
criticalclassics.org