Wiederentdeckte Schweizer Kunstlieder
Drei neue Alben machen deutlich, dass es in Sachen Klavierlieder von Schweizer Komponistinnen und Komponisten noch viel zu entdecken gibt, sei es im Dialekt oder auf Hochdeutsch.

Mit ihrer aussergewöhnlichen CD Lieder der Heimat aus dem Jahre 2019 hatte die renommierte Luzerner Sopranistin Regula Mühlemann nicht nur Mut in der Repertoirewahl bewiesen, sie löste gleichsam einen neuen Trend aus (Rezension von Verena Naegele). Dieser widmet sich der sorgfältigen Sichtung und Wiederbelebung teils vergessener Werke von Schweizer Komponistinnen und Komponisten. So sind in letzter Zeit etliche Neueinspielungen erschienen, die sich solchen Vertonungen, zum Teil auch von Mundartgedichten, widmen und damit das Thema Heimat beleuchten.
Swiss Love
Das «Neujahrsstück» der Zentralbibliothek Zürich wurde für das Jahr 2025 von Franziska Heinzen (Sopran) und Benjamin Mead (Klavier) gestaltet. Unter dem Titel Swiss Love. Der Liebe Leid und Lust werden Liebesgeschichten aller Schattierungen in einem Programm vorgestellt, in dem das Duo teils erstmals eingespielte Lieder von Lothar Kempter, Johann Carl Eschmann, Yvonne Röthlisberger und Wilhelm Baumgartner kunstvoll mit neu arrangierten Volksliedern verwebt.
Hei cho
Die zweite Einspielung präsentiert unter dem Titel Hei cho Vertonungen von Gedichten Josef Reinharts, eines in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts bekannten Pädagogen und Schriftstellers aus der Region Solothurn. Komponiert haben sie Richard Flury, Ernst Honegger, Emil Adolf Hoffmann, Walter Lang, Friedrich Niggli, Heinrich Pestalozzi und Karl Schell. Die Sopranistin Stephanie Bühlmann – auch für sie ist es nicht die erste Mundart-Arbeit – hat für dieses Projekt den Tenor Daniel Behle sowie den Pianisten Benjamin Engeli gewinnen können, beide ausgewiesene Spezialisten.
Vergessene Lieder, vergessene Lieb
Die dritte CD dreht sich um das Schaffen von Willy Heinz Müller, einem aus Wien stammenden Geiger, Dirigenten und Komponisten, der bis in die 1970er-Jahre im Raum St.Gallen tätig war und ein internationales Kontaktnetz pflegte. Seine Lieder hingegen blieben für fast 100 Jahre unentdeckt, bis sich schliesslich die Sopranistin Mélanie Adami, seine Urenkelin, während der Corona-Krise die Zeit nahm, diese vergessenen Werke eingehend zu studieren. Von deren Qualität überzeugt, fand sie in der Pianistin Judith Polgar und im Bariton Äneas Humm ebenso neugierige Mitmusiker, um gemeinsam die Aufnahme mit dem Titel Vergessene Lieder, vergessene Lieb einzuspielen. Ergänzt wurden die Kompositionen durch Werke anderer Klangschöpfer, die Müller entweder sehr beeindruckt hatten oder zu denen er eine persönliche Beziehung unterhielt, etwa Ernst von Dohnányi, Franz Ries oder Carl Götze.
Das musikalische Niveau und die Aufnahmequalität ist auf allen drei Tonträgern dermassen hoch, dass man ab und zu vergisst, hier kein Standard- oder gar Meisterrepertoire zu hören. So ist beispielsweise auch der Umstand, dass Daniel Behle kein Dialektsprecher ist, nur zu Beginn auffällig. Insgesamt trägt auch dieses Merkmal eher zu einer gewissen Nobilitierung des Gesamtklangs bei. Und auch wenn vereinzelte Längen vorkommen, laden die drei Einspielungen dennoch zu einer inländischen Entdeckungsreise ein, die auch ein breiteres Publikum belohnen wird.
Swiss Love. Der Liebe Leid und Lust. Solo Musica SM 477
Hei cho. Mundartlieder auf Gedichte von Josef Reinhart. Solo Musica SM 464
Vergessene Lieder, vergessene Lieb. Forgotten Songs by Willy Heinz Müller. Prospero Classical PROSP 0087