Bläserquintette aus dem 20. Jahrhundert
Das Art’Ventus Quintet spielt Werke von Paul Mieg, Paul Huber, Gion Antoni Derungs und Paul Juon.
Schweizer Komponisten haben für das 1955 gegründete Stalder-Quintett unzählige Bläserquintette komponiert, aber nicht diejenigen, die das Art’Ventus Quintet auf seiner neuen CD aufgenommen hat. Das aus einigen der besten jungen portugiesischen Musikerinnen und Musikern bestehende Ensemble spielt erst seit drei Jahren zusammen, hat aber bereits ein sehr hohes Niveau erreicht. Die Flötistin und der Oboist haben in der Schweiz studiert. Für ihr Programm Swiss Treasures haben sie sich für Werke von Peter Mieg, Paul Huber, Paul Juon und Gion Antoni Derungs entschieden; die ersten beiden sind Ersteinspielungen. Die grafisch ansprechende CD enthält auch einen interessanten Booklettext von Dominik Sackmann.
Wenn Goethe über das Streichquartett sagte, dass man vier vernünftige Leute sich unterhalten höre, sollte das eigentlich trotz etwas grösserer Besetzung auch für ein Bläserquintett gelten. Bei Peter Miegs Quintett, das 1977 beendet wurde, hat man eher das Gefühl, dass alle ständig reden und niemand die anderen zu Wort kommen lässt. Ein Blick in die Partitur zeigt denn auch, dass die meiste Zeit alle fünf Instrumente gleichzeitig spielen, was wirklich ein Schwachpunkt der Komposition ist. Die Satzanfänge klingen vielversprechend, aber das Interesse erlahmt schnell, weil die Musik unglaublich repetitiv ist.
Bedeutend besser gelungen sind die Quintette von Paul Huber, zu seinen Lebzeiten eine musikalische Institution in St. Gallen, und Gion Antoni Derungs, der ein wichtiger Vertreter der Bündner Musik war. Beide Werke, 1963 bzw. 1977 komponiert, halten an der Tonalität fest, was aber aus heutiger Optik kein Merkmal mangelnder Aufgeschlossenheit oder Qualität sein kann. Das portugiesische Quintett identifiziert sich hörbar mit den Stücken und gewährleistet ideale Aufführungen. Das Werk von Huber besteht aus einem expressiven, melancholischen Adagio und einem virtuosen Scherzino, in dessen Trio man Ferdinand Fürchtegott Hubers Volkslied Luegid vo Berg und Tal unschwer erkennen kann. Derungs’ Divertimento, etwas moderner als die anderen Stücke auf der CD und stilistisch schwierig einzuordnen, ist, entgegen dem Titel, kein besonders heiteres Stück und erschliesst sich vielleicht nicht beim ersten Hören.
Konditoren aus dem Kanton Graubünden waren in ganz Europa erfolgreich und kamen oft zu beachtlichem Wohlstand, wovon Villen von Zurückgekehrten im Puschlav und Bergell Zeugnis ablegen. Paul Juon, in Moskau geboren, war Sohn eines Bündner Zuckerbäckers aus Masein. Er erhielt eine fundierte musikalische Ausbildung und studierte bei Anton Arenski und Sergei Tanejew Komposition. Er selbst lehrte später an der Berliner Musikhochschule, bevor er die sechs letzten Jahre seines Lebens in Vevey verbrachte. In seiner Musik wird man Schweizer Spuren vergeblich suchen, aber Kontakte zum Schweizer Musikleben gab es. So ist das hier eingespielte Bläserquintett op. 84 von 1928 dem langjährigen Präsidenten des Bernischen Orchestervereins Jakob Vogel gewidmet.
In den Zwanzigerjahren entstanden einige der bekanntesten und meistgespielten Bläserquintette, so etwa diejenigen von Paul Hindemith, Carl Nielsen, Hanns Eisler, Arnold Schönberg und Jacques Ibert. Juons Quintett kann den Vergleich mit diesen Werken mühelos aushalten. Es ist handwerklich untadelig gearbeitet, kraft- und fantasievoll, harmonisch oft kühn und fordert jedes Instrument heraus. Die Neuaufnahme des Art’Ventus Quintet ist zwar sehr energiegeladen, der erste Satz wird aber merklich zu langsam gespielt, was ihm zuviel Erdenschwere verleiht. Die Dynamik hätte an einigen leiseren Stellen besser respektiert werden müssen, da es der Interpretation noch etwas mehr Relief verliehen hätte.
Insgesamt ist Swiss Treasures eine empfehlenswerte CD, da sie Werke etwas weniger bekannter Schweizer Komponisten dokumentiert.
Swiss Treasures. Chamber Music for Wind Quintet. Art’Ventus Quintet (Paula Soares, Flöte; Tiago Coimbra, Oboe; Horácio Ferreira, Klarinette; Nuno Vaz, Horn; Raquel Saraiva, Fagott). Prospero PROSP0081