Ein fein gesponnenes Album
«Cocoon» von Annakin ist eine Sammlung zart-durchsichtiger Lieder, in denen das Piano eine wichtige Rolle spielt.
Das achte Soloalbum von Annakin – einst die Stimme der Badener Trip-Hop-Kombo Swandive – beginnt mit einem der schönsten Lieder, das sie während ihrer langen Karriere aufgenommen hat. Es heisst Marian und ist so etwas wie ein klingendes Programmheft. Sie habe den Song geschrieben, als der Angriff auf Mariupol begann, erklärt die Künstlerin. Später habe sie realisiert, dass hier das Thema des ganzen Albums auf den Punkt gebracht werde. «Es geht um Schutz und um Krieg und vor allem auch um Katharsis. Um ein Erlebnis, das man verarbeiten muss, um zur Kreativität durchzufinden und Neues zu schaffen.»
Nach dem Frust des Lockdowns, der allerhand Pläne zunichte gemacht hatte, geriet sie in einen regelrechten Schaffensrausch, der mit ihrem Ausflug ins La-Frette-Studio in der Nähe von Paris – eine elegant verlotterte Villa, wo auch schon Nick Cave, Marie-Joe Thério und Marianne Faithfull klingende Feinkost geschaffen haben – seinen Höhepunkt fand. Die Wahl war auf dieses Studio nicht zuletzt darum gefallen, weil dort ein Instrumentarium bereitstand, das den klanglichen Vorstellungen der Künstlerin entgegenkam: ein Bösendorfer-Klavier zum Beispiel, das klingt, als ob es in einen Wattekokon (ha!) eingehüllt wäre, ein wuchtiger Oberheim-Synthesizer sowie ein Neve-Mischpult. Wie schon bei ihrem letzten Album entstanden die Aufnahmen unter der Ägide des britischen Produzenten Ed Harcourt, der als singender Songschreiber auf eine Reihe von noblen, eigenwilligen Alben zurückblicken kann. Ihm, findet Annakin, sei es zu verdanken, dass das Album weniger elektronisch, dafür eher pianolastig ausgefallen ist.
Der Titel Cocoon bringt die Stimmung nicht nur vom Thema her auf den Punkt, metaphorisch beschreibt er auch die Wirkung dieser gazeartig-transparenten Lieder. Sie brauchen ihre Zeit, um Hörerinnen und Hörer einzuspinnen, aber die Fäden sind stark … Ein weiteres feines Kapitel in der Geschichte einer unermüdlichen, stillen Abenteurerin.
Annakin: Cocoon, Phonag Records, annakin.net