Schoecks elegische Kühnheit
Bariton Christian Gerhaher und das Kammerorchester Basel unter der Leitung von Heinz Holliger treffen den richtigen Ton für Othmar Schoecks Elegie op. 36.
«Es sind da wirklich Töne aus einer andern Welt, etwas Ähnliches habe ich noch nie vernommen», schrieb Komponistenkollege Fritz Brun über das neue Werk. Das war 1923 – eine Zeit, in der punkto Modernität einiges los war, in Paris wie in Wien. Auch den Zürchern kam das Werk kühn vor, aber Brun sagte nicht «neu», sondern «andere Welt» und traf damit die Situation ziemlich gut. Othmar Schoeck war an einer Schwelle. Schon mit der Venus hatte er andere Töne angeschlagen, kurz darauf wird er sich mit der Penthesilea für kurze Zeit unter die Modernsten einreihen – und sich ein bisschen entäussern. Denn eigentümlicher und persönlicher ist er hier, in der dazwischen entstandenen Elegie, einem Zyklus von 24 Orchesterliedern nach Eichendorff und Lenau.
Kühnheit: Das Wort mag überraschen bei dieser weitgehend ruhigen und melancholischen Musik, die kaum hyperchromatisch ist, weder neoklassizistisch frech noch expressionistisch hochgetrieben, die aber dennoch an Grenzen geht. Sie gehört durchaus noch der tonalen Spätromantik an, ja, ist aber nicht überfrachtet wie bei Mahler, Strauss oder dem Lehrer Reger, sondern entschlackt, grandios verknappt und damit für die Moderne parat. Die Melodien kreisen in sich – Zeichen der Melancholie. Von Abschied ist ständig die Rede. Die Kühnheit steckt also in der tieftraurigen, aber lichtvollen Stimmung und in einer im Detail höchst originellen Tonsprache, was besonders gut in der Orchesterfassung zutage tritt. Mit wenig wird hier enorm viel erreicht. Ein phänomenales Meisterwerk.
Der Name des einen Dichters, Lenau, wird manchen an Heinz Holligers jüngste Oper Lunea erinnern, und tatsächlich steht dieser hier am Dirigentenpult, leitet das Kammerorchester Basel und den ebenso phänomenalen Christian Gerhaher in dieser Neuaufnahme. Es wird sehr liebevoll und aufmerksam musiziert. Und ungemein differenziert in der Klanglichkeit. Das Verblüffende: Schoecks Vertonweise verlangt den Sängern einen bestimmten, sehr typischen Duktus ab. Leicht, meist unaufdringlich, zuweilen fast gesprochen, kein schweres Pathos, aber überaus expressiv und an wenigen Stellen ausbrechend. Gerhaher, der den Lenau auch in Lunea sang, trifft das genau.
Othmar Schoeck: Elegie op. 36 für Stimme und Kammerorchester. Christian Gerhaher, Bariton; Kammerorchester Basel; Leitung Heinz Holliger. Sony Classical 19439963302