Abenteuergeschichten, mal haarig, mal atlantisch
Zwei gelungene CDs für Kinder: «Struwwelpeter – eine (haarige) Geschichte» interpretiert von einem Quartett des Kammerorchesters Basel sowie «Rubato und das wilde Schiffsorchester» von Musique Simili.
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Eltern müssen ja sein, sind aber nicht immer die besten Ratgeber. Da gibt es Helikopter-Väter und -Mütter, da gibt es Bedenkenträger und Sorgenmacher, die ihren Kindern schon mal eigene Erfahrungsräume nehmen. So etwas fällt einem ein, wenn man die wunderbare CD Struwwelpeter – eine (haarige) Geschichte hört. Geschichte und Musik haben vier Mitglieder des Kammerorchesters Basel schon oft in Klassenzimmern gespielt.
1845 kam das Kinderbuch Struwwelpeter des Psychologen Heinrich Hoffmann auf den Markt. Ursprünglich dachte Hoffmann an ein Weihnachtsgeschenk für seinen dreijährigen Sohn. Doch siehe da: Schon bis zum Tod des Autors verkaufte sich das Buch 950 000 Mal und wurde zu einem Evergreen. Wer kennt sie nicht, die teils grausamen Geschichten vom Suppenkasper, vom Hanns Guck-in-die-Luft oder vom Daumenlutscher?
Eva Miribung (Violine), Georg Dettweiler (Violoncello), Konstantin Timokhine (Horn) und Jan Wollmann (Trompete) erzählen nicht nur. Geschmackssicher wählen und spielen sie auch die Musik: Zur Geschichte vom bösen Friederich tönen Ausschnitte des düsteren Cellokonzerts von Dmitri Schostakowitsch. Die Geschichte von den schwarzen Buben begleiten augenzwinkernde Reggae- und Ska-Rhythmen. Zum Zappel-Philipp intoniert das Quartett kammermusikalisch bearbeitete Passagen aus Richard Strauss‘ Till Eulenspiegels lustige Streiche.
Eltern und ihre Ermahnungen kommen auf der CD gar schlecht weg. Da guckt der Hanns zwar in die Luft, aber die Eltern – auch nicht besser – stur auf ihre Handys. Zumindest sagen das die Kinder, die auch zu Wort kommen. Ihre erfrischenden Kommentare zeigen, dass die Eltern sich mal keine Sorgen zu machen brauchen über potenzielle Grausamkeit der Geschichten. Einem Vierjährigen sollten sie sie vielleicht nicht zum Einschlafen auflegen. Aber für alle Kinder von der ersten bis vierten Klasse ist es eine tolle, vor allem auch musikalisch lehrreiche CD. «Unheimlich, aber aufregend», kommentiert ein Mädchen Die gar traurige Geschichte mit dem Feuerzeug.
Ein Quartett des Kammerorchesters Basel singt und spielt Struwwelpeter, eine (haarige) Geschichte. Solo Musica SM 355
Rubato ist ein dehnbarer Begriff. Diesmal ist es keine Aufführungsvorschrift, sondern der Name jenes Jungen, der sich als blinder Passagier auf die Santa Helena begibt – auf jenes Schiff, das auslaufen wird nach Buenos Aires. Als Akkordeonspieler, der Rubato ist, kann er sich natürlich kaum einen attraktiveren Ort vorstellen als die argentinische Hauptstadt, «wo der Tanz aller Tänze getanzt wird».
Der Tango steht also im Mittelpunkt. Aber es gibt nicht nur einen Tastentango oder einen Tango finale, sondern einen bunten Strauss mit Walzer- oder Csárdás-Elementen oder mit Lied-Beigaben Franz Schuberts. All das Musikalische ist schön verwoben in die von Stella Hänsenberger erzählte Geschichte, die der Zürcher Poet Rainer Frei erdachte. Rubato lernt Sordina kennen, die Geigerin des wilden Schiffsorchesters. Nach allen Querelen mit Capitano Spavento darf Rubato schliesslich im wilden Schiffsorchester mitspielen – und es kommt sogar noch besser …
Eine tolle Kinder-CD inklusive schön kartoniertem und illustriertem Einband präsentiert die in Erlach ansässige Edition Simili. Die anvisierten Kleinen von etwa vier bis sieben Jahren werden mit den abgebildeten Noten in der Regel noch nicht so viel anfangen können. Aber vielleicht können die Eltern ja noch eine kleine Gutenacht-Zugabe spielen?
Rubato und das wilde Schiffsorchester. Geschichte Rainer Frei; Zeichungen Juliette Du Pasquier; Musik Marc Hänsenberger; Musique Simili. Hörbuch mit oder ohne CD. Edition Simili