Eisige, unheimliche Stimmungen
David Philip Hefti hat eine «Schneekönigin» mit flirrender Vierteltönigkeit und seriellen Techniken geschaffen, die Erwachsene und Kinder ansprechen soll.
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Es war ein prestigeträchtiger Jubiläumsauftrag, den das Tonhalle-Orchester Zürich 2018 zu seinem 150. Geburtstag vergab. Und er sollte dem Nachwuchspublikum zugutekommen, also Kindern und Jugendlichen. David Philip Hefti liess sich darauf ein, obwohl er bis dahin noch nie für Jugendliche komponiert hatte. Er schrieb sein zweites Musiktheater, Die Schneekönigin nach dem gleichnamigen Märchen von Hans Christian Andersen. Die Liveaufnahme der halbszenischen Uraufführung ist nun auf CD erschienen.
Er sei, erzählt Hefti, als junger Vater mit mehreren Musikproduktionen für Kinder in Berührung gekommen. Dabei habe er gute, aber auch sehr unverbindliche Aufführungen erlebt. «Und ich bin der Meinung, dass die Erwachsenen in den Familienkonzerten oft zu kurz kommen.» Warum also nicht für einmal ein Märchen für Erwachsene komponieren, das auch Kinder verstehen können? Kommt dazu, dass Die Schneekönigin in jüngster Zeit nicht nur als Trickfilm von Disney herauskam, in Deutschland und Dänemark haben den Stoff gleich mehrere Komponisten musiktheatralisch umgesetzt.
Dem Kunstmärchen des dänischen Autors Andersen wurde allerdings vorgeworfen, es sei zu lang und zu komplex für Kinder, und es fehle ihm an «Naivität und Naturechtheit». Es ist die Geschichte zweier Kinder, Gerda und Kay, die in die Fänge der Schneekönigin geraten. Kay wird deswegen eiskalt und gefühllos, Gerda vermisst und sucht ihn. Die Schneekönigin erscheint ihr dabei in verschiedenen Figuren, um sie aufzuhalten. Die warmen Tränen, die Gerda beim Wiedersehen mit Kay weint, tauen auch seine Gefühle wieder auf.
Der Autor Andreas Schäfer hat das Libretto eingerichtet, schlicht und gut verständlich, doch das «Abstrakte» von Andersens Vorlage bleibt. Versteht ein Kind, wenn «die Poesie» die Schneekönigin bezwingt? Es ist Heftis Musik, die das Märchen plastisch werden lässt. Er weiss die Atmosphäre des Eisigen und des Unheimlichen mit flirrender Vierteltönigkeit und seriellen Techniken packend umzusetzen.
Das Musiktheater hat nur eine einzige Gesangspartie, das andere sind Sprechrollen. Die Sopranistin Mojca Erdmann muss gleich vier verschiedene Figuren verkörpern: neben der Schneekönigin auch deren Erscheinungen als alte Frau, als junger Mann und als Räuberbraut. Erdmann singt diese herausfordernde Partie mit eindrücklichen Farbwechseln, sie meistert die tiefe Lage genauso souverän wie die virtuos in die Höhe getriebene Partie der Schneekönigin. Doch bei aller geforderten Dramatik bleibt sie ihrer lyrischen Stimme treu.
Viel zum Gelingen dieser Produktion tragen auch die beiden Schauspieler Delia Mayer und Max Simonischek bei. Sie erzählen die Geschichte mit viel Empathie, wissen lustvoll zwischen Lebendigkeit und Trostlosigkeit zu wechseln und geben den beiden Kindern sympathisch-authentische Stimmen. Heftis Partitur ist sehr genau notiert und fordert hohe Aufmerksamkeit und Musikalität (erhältlich ist sie, ebenso wie der Klavierauszug und das Libretto, bei der Edition Kunzelmann). Das vom Komponisten dirigierte Tonhalle-Orchester vermag die geheimnisvolle Aura dieser Musik auch in der Aufnahme vielschichtig zu vermitteln.
David Philip Hefti: Die Schneekönigin. Libretto: Andreas Schäfer nach Hans Christian Andersen. Mojca Erdmann, Sopran; Delia Mayer, Sprecherin; Max Simonischek, Sprecher; Tonhalle-Orchester Zürich; Leitung David Philip Hefti. Neos Music NEOS 12028