Minimalistische Melodiefragmente auf der Geige
Auf seinem ersten Soloalbum «Diver» kehrt Tobias Preisig den virtuosen Seiten seines Instruments den Rücken und gibt den Klängen viel Raum und Zeit.
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In seinen Anfängen bewegte sich der Zürcher Geiger Tobias Preisig noch in recht konventionellen, romantisch angehauchten Jazz-Gefilden. Spätestens aber mit dem spektakulären und international viel beachteten Geige/Schlagzeug-Duo Egopusher und im Duett mit Stefan Rusconi an der Kirchenorgel hat er sämtliche stilistischen Fesseln abgeworfen. Und mit Diver, seinem ersten Solo-Album, zeigt er sich abermals von einer neuen Seite. «Die Geige hat eine lange Tradition und wird als prestigeträchtiges, mit technischer Virtuosität verbundenes Instrument wahrgenommen», erklärt der 38-jährige, inzwischen in Berlin lebende Künstler im Begleittext. «Deswegen gibt es eine Tendenz, dass die Musik schwierig sein muss, um das technische Können des Spielers zu präsentieren. Mich interessierte das immer weniger.»
Diver wurde in drei intensiven Wochen in Preisigs Studio mit Blick aufs Fussballstadion erarbeitet und aufgenommen. Bei der Produktion half Jan Wagner mit, dessen künstlerische Verbindungen ins Faust-Studio in Scheer, aber auch zur Szene um den Berliner Berghain-Klub reichen. Die Abkehr von demonstrativer Virtuosität hat Preisig in den Bereich von minimalistischen Melodiefragmenten geführt, die im abschliessenden Stück Collective gar auf lang dahingestrichene Einzeltöne reduziert werden. Die Rhythmen geben sich Luft und lassen sich viel Zeit. Dann und wann werden sie mittels hauchartiger Bass- und Knacklaute angetönt, oft werden sie bloss von der integralen Bewegung der Geigenmotive getragen. Untermalt wird das Ganze von asketischen Haltetönen aus dem Synthesizer und viel Echo.
Die Disziplin und die Kühnheit, sich auf Essenzen zu konzentrieren, stehen Preisig gut. Diver besteht aus acht in Aufbau und Melodik höchst verschiedenen Stücken, die indes allesamt eine meditative Ruhe ausstrahlen. Ähnlich wie die Ambient-Musik von Brian Eno schaffen sie eine geradezu physische Räumlichkeit, in der sich der Zuhörer ebenso verlieren wie finden kann. Ein herrliches Album voller Raum, Ruhe und Licht.
Diver. Tobias Preisig, Violine und Synthesizer. Quiet Love Records