Ein Musiker ohne Grenzen
Endlich gibt es Aufnahmen von Fredy Studer als Solist. Begleitet werden die beiden Vinyl-LPs (und Downloads) von einem Buch mit Essays und einem grossen Interview mit dem Künstler.
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Ich will mich nicht entschuldigen dafür, dass die nachfolgenden Zeilen wie die Ergüsse eines verrückten Fans klingen mögen. Anders kann ich dem Soloalbum, das uns Fredy Studer auf seinen 70. Geburtstag hin beschert hat, nicht begegnen. Studer ist ein wunderbarer und grosszügiger Geschichtenerzähler. Man könnte ihm stundenlang zuhören, selbst dann, wenn er seine Stories am Wirtshaustisch in gewöhnlichen Worten erzählt. Seine wahre Sprache ist eine andere; das Organ, mit dem er sie vermittelt, ist das Schlagzeug. Inzwischen ist der Luzerner 71 Jahre alt geworden. Fast ebenso viele Jahre hat er damit verbracht, Rhythmen zu schlagen. Die Zahl der Ton- und Bildträger, bei deren Aufnahme er eine führende Rolle innehatte oder zumindest einen wichtigen Beitrag leistete, hat den dreistelligen Bereich erreicht. Etwas fehlte aber noch.
Obwohl der praktizierende Karate-Fan durchaus Solokonzerte gegeben hat, ist von ihm noch nie eine Soloplatte erschienen. Diese Unterlassungssünde hat er nun endlich ausgebügelt. Und wie! 14 Stücke gehören zum Now’s the Time-Zyklus. Erhältlich sind sie als digitale Downloads oder aber auf doppelter Vinyl-LP, in einer feinen Box verpackt, zusammen mit einem Buch mit Essays, Interviews, Fotos und Diskografie.
Zuerst die Musik: Vierzehn Geschichten eben, erzählt mit Schlagzeug, Cymbals, Gongs, «bowed Metal», Perkussion und Wassergong. Keinerlei Overdubs oder elektronische Effekte wurden verwendet, für die hervorragenden Aufnahmen zeichnet der weitgereiste Schweizer Produzent Roli Mosimann verantwortlich. Es ist nur ansatzweise möglich, der Brillanz dieser Musik mit gewöhnlicher Sprache gerecht zu werden. Die melodischen Facetten, dazu die rhythmischen Spannungsbögen, die Studer kraft einer stupenden Technik, vor allem aber als Ausdruck einer Vision ohne Grenzen aus seinem Instrumentarium herauskitzelt, sind atemberaubend. Soloperkussion kann ins Kopflastige oder ins Virtuositätsbolzen abrutschen. Studer entgeht diesen Gefahren, indem er die Körperlichkeit von Rhythmus nie vernachlässigt. Selbst dann, wenn er physisch ans Unmögliche grenzende Polyrhythmen ausrollt, bleiben Sound und Strukturen transparent. Selbstverständlich verweigert sich diese Musik jeglichen Stilschubladen, schwirrt schmetterlingshaft zwischen Improvisation und Komposition, flirtet mit Industrial Rock und abstrahiertem P-Funk, wäre in der Nachbarschaft von Neuer Musik keineswegs fehl am Platz und könnte jedem Jazz-Drummer als Lehrbuch dienen. Kein Wunder, haben so unterschiedliche Musiker wie Jim Keltner, Paul Lovens, Jack DeJohnette und Vinnie Colaiuta schwärmerische Huldigungen für den Innenumschlag verfasst.
Und das Buch: Die Essays sind allesamt lesenswert, am meisten gefällt aber doch die Lektüre eines langen, während mehrerer Schifffahrten auf dem Vierwaldstättersee geführten Interviews mit dem Künstler. Hier wird so richtig klar, wie weit der Horizont und der Wissensdurst dieses leidenschaftlichen Musikers gespannt ist. Es fängt mit Basler Trommlern und Jimi Hendrix an, führt an unzähligen Mitmusikern aus der ganzen Welt vorbei (Charlie Mariano, John Zorn, Sonny Sharrock, Jamaaladeen Tacuma, Pierre Fravre, Irène Schweizer, Rosko Gee, Phil Minton, Robyn Schulkowsky, Christy Doran und viele andere mehr) und landet bei stilprägenden, eigenen Bands wie OM, Koch-Schütz-Studer und Phall Fatale.
Album und Buch zusammen bilden ein ganz grosses Stück Schweizer Musikgeschichte.
Fredy Studer: Now’s the Time, Solo Drums. Box (2 LPs; 224-seitiges Buch mit Texten von Beat Blaser, Pirmin Bossart, Meinrad Buholzer, Kurt Murpf, Peter Rüedi und Christine Weber, deutsch/englisch; MP3-Download). Everest Records ER 089 und Maniac Press, Basel