Klangvisionen für die Gitarre
Auf «Solare» haben Elena Càsoli, Virginia Arancio und Teresa Hackel etliche Stücke von Fausto Romitelli erstmals eingespielt.
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Die Gitarristin Elena Càsoli ist immer wieder für Überraschungen gut. Sie ist mittendrin in der heutigen Musikproduktion und lehrt an der Musikhochschule Bern Gitarre und Interpretation zeitgenössischer Musik. Beim italienischen Label stradivarius hat sie schon mit StrongStrangeStrings Furore gemacht, darauf folgte Changes Chances mit Musik von Cage, Carter und Riley.
Ihre neuste CD ist der Gitarrenmusik des italienischen Spektral- und Computermusikers Fausto Romitelli (1963–2004) gewidmet, der mit nur 41 Jahren nach langer Krankheit verstarb. Romitelli hatte in Mailand studiert und sich danach bei Franco Donatoni kompositorisch weitergebildet. Seinem Interesse für «Klangerforschung» folgend, ging er 1991 nach Paris, um mit Hugues Dufourt und Gérard Grisey am IRCAM (Institut de Recherche et Coordination Acoustique/Musique) in Kontakt zu kommen. Von 1993 bis 1995 war er dort «compositeur en recherche». Er etablierte sich als junger Komponist im Umfeld von Ligeti, Scelsi und Grisey in der «Klangavantgarde» auf den führenden europäischen Bühnen für Neue Musik und ergründete unerhörte Klangdimensionen, sei das im Bereich instrumentaler und vokaler Musik, oder mit Elektronik, Live-Elektronik und Multimedia,
Elena Càsoli vermag Romitellis visionären Kosmos auch in seinen Gitarrenstücken zu offenbaren. Hochmusikalisch wie sie ist, gestaltet sie die minutiös notierten und deshalb schwer zu entziffernden Partituren mit dramaturgischer Raffinesse und einer vielschichtigen Farbpalette.
Solare (1984) für Gitarre solo gibt der CD ihren Namen. Càsoli weiss den leisen, flirrenden Anfang so spannend zu gestalten, dass man interessiert mit ihr mitgeht: Es ist ein ruhiges Stück voller Überraschungen, das mit wenigen Mitteln eine dramaturgisch eigenwillige und klanglich differenzierte Poesie entfaltet. Càsoli ist mit jeder seiner Finessen vertraut, und gegen Schluss sinniert sie gar mit leisem Summen den vereinzelten Tönen nach.
Die CD bietet fünf Ersteinspielungen, Solare ist eine davon. Für die Stücke, die zwei Gitarren oder eine elektronische Gitarre verlangen, hat Càsoli Virginia Arancio mit ins Boot geholt, dazu die Blockflötistin Teresa Hackel. Diese bringt in Seascape (1994) und Simmetria d’oggetti (1987/88) für Flöte und Gitarre den «Hauch» mit ein, gestaltet Romitellis fantasievollen Umgang mit dem Atmen beeindruckend aus. – Wer diese CD zu hören beginnt, wird von der zarten, einnehmenden Klangwelt gefangen.
Fausto Romitelli: Solare. Elena Càsoli, classical guitar; Virginia Arancio, classical guitar, electric guitar; Teresa Hackel, Paetzold flute, recorder. stradivarius STR 37099