Von Heuliedern und der Niemandsrose

Verdichtete Formen, oft ausgehend von einfachem Material und hinführend zu exaltierten Ausbrüchen, kennzeichnen die Kompositionen auf der neuen Trio-CD von Iris Szeghy.

Iris Szeghy. Foto: Pavel Kastl

Mit einer rasch auffahrenden und wieder absinkenden Geste beginnt die Sängerin, die Klarinette imitiert sie, und so geht das weiter, im Wechsel. Innert kurzer Zeit verändert sich die Geste, die Stimmen verschränken sich, reiben sich aneinander, steigern sich weiter, bis sie auf einem höchsten Ton hängenbleiben. Kurze leise Repetitionen folgen und zum Schluss ein schlichtes slowakisches Volkslied, ein Heulied. So zu hören im Meadow Song von Iris Szeghy. Die seit 2001 in Zürich lebende und arbeitende slowakische Komponistin versteht es, ausgehend von solch einfachem Material – das Imitieren ist ja eigentlich urältestes Musikhandwerk – eine schlüssige Form auf engem Raum zu entwickeln. Aufgrund derartiger Erfahrungen habe ich sie einmal vor vielen Jahren eine Meisterin der kleinen Form genannt, was sie nicht unwidersprochen liess: Sie könne auch grosse Abläufe gestalten. Sei’s drum. Was die episch ausladenden Werke angeht, so finden sie sich hier nicht, auf dieser CD, die sie mit dem slowakischen Trio Sen Tegmento aufgenommen hat. Die Sopranistin Nao Higano, der Klarinettist Martin Adámek und die Pianistin Zuzana Biščáková interpretieren ungemein schön. Nur die deutsche Aussprache wirkt manchmal etwas holprig.

Belegen lässt sich hier aufs Schönste, wie Szeghy die Musik verdichtet und knapp formuliert, ohne Innovationszwang, ausgehend von dem vertrauten Material. Manchmal beginnt sie mit schlichten, ja fast banalen Klängen und steigert sie dann ins Extrem, in theatralisch exaltierte Gesten hinein. Aus einem dumpfen Stampfen etwa entwickelt sich das Klavierstück Perpetuum mobile bis zu grellen Kaskaden. In Folclorico wird eine langsame Klarinettenkantilene von Orientalismen des Klaviers kontrastiert, die auch da wieder in heftigen Ausbrüchen explodieren. Das hat seine Tücken, denn so droht das eingangs Gesetzte desavouiert zu werden, etwa wenn sich einer der «Hesse-Splitter» (nach Fragmenten von Hermann Hesse) sarkastisch, wo’s um die Unsterblichkeit geht, in ein lautes Lachen verzerrt. Nicht alle Stücke entgehen so der Plakativität. Das ist die Gefahr einer nicht nur andeutenden, sondern überdeutlichen Darstellung.

Besonders eindringlich ist die Vertonung von Paul Celans Psalm für Stimme allein. Zwischen Flüstern, Wispern, Sprechen und dunklem Gesang entfaltet sich das so bewegende, nichtslastige Gedicht, blüht für einen Moment auf, wie die zentrale «Niemandsrose» – und versinkt wieder. Die Anrufung des Grossen Bären Ingeborg Bachmanns beschliesst die CD: In der Totenstille flattert die Musik leicht und ernst aus.

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Iris Szeghy: Music for Voice, Clarinet and Piano. Trio Sen Tegmento. Diskant DK 0177-2231

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