Zwischen Schärfe und Spannung

Neu erfunden haben sich Kaos Protokoll auf ihrer dritten Platte nicht, doch ihr Sound zeigt sich frisch justiert. Mit dem Ergebnis, dass das Quartett stärker denn je auf musikalische Gegensätze pocht.

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Der Zweitling von Kaos Protokoll mit dem zungenbrecherischen Titel Questclamationmarks liegt gerade mal drei Jahre zurück, doch seither hat sich bei der Band einiges verändert: Am Saxofon wurde Mark Stucki durch Simon Spiess ersetzt und neu an Bord ist auch Keyboarder Luzius Schuler. Wodurch das Trio zum Quartett angewachsen ist. Laut Presseunterlagen ist das neue Album, Everyone Nowhere, zwischen «Post Future Beats» und «modernem Spiritual Jazz» angesiedelt. Die Besetzungswechsel haben den Sound von Kaos Protokoll nicht völlig über den Haufen geworfen, aber hörbar Spuren hinterlassen: Die Musik wirkt meditativer und sphärischer. Davon kündet bereits das erste Stück, Flash Frame, das muskulöse Rhythmen mit langgezogenen Klängen der Bassklarinette und frenetischem Tastenspiel verbindet – und dabei ebenso cool wie kühn anmutet.

Kaos Protokoll lassen immer wieder ihre Vorliebe für Elektronisches aufblitzen. Das verleiht den Liedern aus der Feder von Bassist Benedikt Wieland eine gewisse Unnahbarkeit. Durch melancholische Momente wird sie jedoch auch stets aufs Neue durchbrochen. Die Formation schätzt es, sich insbesondere mit Gegensätzen zu beschäftigen: Während Warteraum zwischen leiser Schwermut und Noise-Elementen pendelt, arbeitet sich The Cosmos In My Backyard mal am Free-Jazz, mal am elegischen Art-Rock ab. Indem die vier Musiker abstrakte Klangbilder quasi unablässig mit linden Melodien zu kontrastieren verstehen, gewinnt die Platte sowohl an Schärfe als auch an Spannung. Auf den acht neuen Liedern lassen Kaos Protokoll ihren Ideen unentwegt freien Lauf. Das ist wild und neugierig, aber nicht durchwegs schlüssig. Das Experiment, das Album mit einer Art Rap namens SunRaColtraneSolar zu beschliessen, zeugt zwar von Wagemut, aber: Die einzige Nicht-Instrumentalnummer entpuppt sich als charmanter Fremdkörper.Image

Kaos Protokoll (Benedikt Wieland, E-Bass, Moog; Luzius Schuler, Keys, Efx; Flo Reichle, Drums, Electronics; Simon Spiess, Saxes, Bassclarinet): Everyone Nowhere. Prolog Music, CD/Vinyl. www.kaosprotokoll.ch

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