Aufwühlendes Psychogramm

Dmitri Schostakowitschs Violinsonate op. 134 in der Version mit Streichorchester und Perkussion. Liveaufnahme mit Sebastian Bohren und der Camerata Zürich unter der Leitung von Igor Karsko.

Sebastian Bohren. Foto: Marco Borggreve

Kaum noch zu bremsen ist die Produktivität des Geigers Sebastian Bohren. Nach eigenem Bekunden strebt er danach, sich interpretatorisch einem Stück so anzunähern, dass es im Idealfall «so klingt, wie es ist». Im Falle von Dmitri Schostakowitschs Sonate op. 134 (1968) wird hierfür auch mal der Rahmen ausgeweitet.

Ursprünglich für Violine und Klavier gesetzt und dem Geiger Igor Oistrach auf den Leib geschrieben, wurde der Klaviersatz später auf ein grosses Streichorchester plus Perkussion übertragen. Ein legitimer Kunstgriff. Vor allem aber ein Unterfangen, dem sich Sebastian Bohren und die Camerata Zürich unter der Leitung von Igor Karsko bei einem Konzert in der Stadtkirche von Brugg mit beglückender Spiellust hingaben. Davon zeugt der nun vorliegende Livemitschnitt für Sony Classical.

Schostakowitschs Opus 134 ist Psychogramm und tönendes Zeitdokument zugleich. Auch im Jahr 1968 lebte der Komponist in einem Klima von Angst und Unterdrückung, stand zudem unter dem Eindruck der gewaltsamen Niederschlagung des Prager Frühlings. In karger Zwölftonreihung geführt, gewährt schon der erste Satz mangels Grundtonart keine emotionalen Zufluchtsräume mehr. Der zweite, schnelle Satz lässt einen gespenstischen Totentanz losbrechen. Der Finalsatz mutet dann wieder wie ein reduziertes Fazit an – mit eigenwilligen Variationen über eine stoische Passacaglia und raffiniert adaptierten barocken Anleihen.

Die Ausführenden dieser neuen Einspielung eint ein hörbarer Wille zu objektivierender Klarheit: Sebastian Bohrens Spiel steht in jedem Moment als leuchtender Fixstern im Zentrum des aufnahmetechnisch brillant eingefangenen klanglichen Geschehens. Sein Ton strahlt aus einer inneren Ruhe umso eindringlicher und zeugt von tiefer geistiger Konzentration. Oft kühl und vibratoarm verdichtet er in den exponierten solistischen Partien einen lakonischen Gestus, beansprucht aber auch in den hitzigsten, virtuosesten Ausbrüchen eine unerschütterliche Souveränität. Die Camerata Zürich schafft mit ihrem schneidend präzisen, zugleich sinnlich atmenden Zusammenspiel die denkbar beste Klangumgebung für das verdienstvolle Unterfangen, Schostakowitschs aufwühlendes Spätwerk in ein «verjüngtes» interpretatorisches Licht zu tauchen.

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Dmitri Schostakowitsch: Sonate op. 134 für Violine, Perkussion und Streichorchester. Sebastian Bohren, Violine; Camerata Zürich, Leitung Igor Karsko. Liveaufnahme. Sony Classical, Digitaler Tonträger

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