Ein sensibler Kosmopolit
Auf seiner zweiten Solo-CD reanimiert Christian Erny die Klaviermusik des Russen Arthur Lourié.
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Die melancholische Melodie des Eröffnungs-Préludes auf dieser CD mutet fast wie eine minimalistische Filmmusik an. Ein Walzer deutet auf Chopin hin, ist aber auch von einer ganz anderen, eigenwilligen Farbe durchtränkt. Ebenso wirkt das spätere impressionistische Farbenspiel in Deux estampes von einem bisher kaum bekannten, sehr individuellen Personalstil durchdrungen …
Der Schweizer Pianist Christian Erny stiess während seines Studiums in den USA auf das Œuvre von Arthur Lourié, dessen Name so «un-russisch» wie seine Musik klingt. Ist Lourié, der 1891 im heutigen Weissrussland geboren wurde, längere Zeit in Paris und später in den USA lebte, wo er 1966 starb, gerade deswegen weitgehend in der Versenkung verschwunden?
Christian Ernys Spielweise nimmt sich auf seiner zweiten Solo-CD denkbar unaufgeregt dieser Klang- und Gedankenwelt an. Erny weiss die Register und Farben subtil zu mischen, als wären es menschliche Stimmen. Das ist kein Zufall, da Erny ja sehr ambitioniert als Leiter seiner Zurich Chamber Singers zu Werke geht, und dies nach eigenem Bekunden viele Synergieeffekte für die pianistische Gestaltung mit sich bringe.
So entfalten sich gewisse neoklassizistische Züge in Louriés Musik betont schwerelos und detailscharf zugleich, wie auch ein meditatives Intermezzo und später ein getragenes Nocturno tief berühren. Aber Lourié und sein engagierter heutiger Interpret können auch ganz anders: Eine furiose Gigue wird zur entfesselten Rhythmus- und Klangstudie, die viel eher an einen rebellischen Strawinsky und gar nicht an barocke Vorbilder erinnert. Für die Doppelbödigkeit von Louriés Zeitumständen steht ein Lullaby, also ein Wiegenlied: Zwar noch tief in der Romantik gründend, nimmt eine Sekundreibung den Anfang der Moderne unmissverständlich vorweg.
Christian Erny plays Arthur Lourié: Piano works (Cinq préludes fragiles, Deux estampes). ARS Produktion 38 248 (SACD)