Frische Ansichten von Venedig

Die beiden Basler Ensembles Concerto Scirocco und Voces Suaves bieten ein venezianisches Programm, das einen Eindruck gibt, wie es an einem Festtag in der Kathedrale San Marco geklungen haben könnte.

Gemälde von Cesare Veccellio (Ausschnitt aus dem CD-Cover).

Erfreulich ist es allemal, wenn sich junge Schweizer Ensembles international etablieren. Die vorliegende CD vereint gleich zwei solche aufstrebenden Gruppen von Musikerinnen und Musikern, beide aus Basel: das Ensemble Concerto Scirocco, 2009 von Giulia Genini gegründet und geleitet, und das Ensemble Voces Suaves, gegründet 2012 von Tobias Wicky und geleitet bis 2015 von Francesco Saverio Pedrini. Für Concerto Scirocco ist dies die erste CD, für Voces Suaves bereits die vierte. Beide Ensembles beweisen in dieser Aufnahme reichlich, dass sie ihr steigendes Renommee mehr als verdienen.

Das CD-Cover schmückt ein Bild des Markusplatzes in Venedig. Das Programm besteht aus Motetten zu fünf und acht Stimmen, dazwischen sind Instrumental- und Orgelstücke. Auf den ersten Blick denkt man an eine eher traditionelle Zusammenstellung von Musik der venezianischen Schule, doch die Auswahl des Gesangsrepertoires ist hier ganz originell: kein Gabrieli, kein Monteverdi, sondern Giovanni Croce. (Dementsprechend stammt das abgebildete Gemälde nicht etwa von Tiziano Vecellio, sondern von seinem Cousin Cesare.) Croce war von 1603 bis zu seinem Tode 1609 Monteverdis Vorgänger als Kapellmeister in San Marco, ein äusserst erfolgreicher und produktiver Komponist, dessen Werke bis 1622 weiter nachgedruckt wurden. Heute ist sein Ruhm von seinem Nachfolger überschattet, doch gibt seine Musik eigentlich einen besseren Eindruck als Monteverdis erhaltene Werke davon, wie damals eine festliche Liturgie in San Marco geklungen haben mag. Da er keine Orgelwerke veröffentlichte, stammen die Orgelstücke von Giovanni Picchi, Vincenzo Bell’haver, Giovanni und Andrea Gabrieli sowie Claudio Merulo. Insgesamt zeigt das Programm die klangliche und stilistische Vielfalt der damals in Venedig gepflegten Musikpraxis. Der Titel der CD verweist auf die Hauptquellen: zwei Sammlungen von Croces geistlichen Kompositionen, Motetti a otto voci, libro primo (Venedig 1594) und Sacrae cantiones quinis vocibus concinendae (Venedig 1605).

Die sehr detaillierten Notizen des italienischen Musikwissenschaftlers Rodolfo Baroncini vermitteln analytisch diese musikalische Vielfalt, und der Rezensent stimmt mit seiner Einschätzung überein, dass die beiden Motetten Percussit Saul mille und Virgo decus nemorum die Höhepunkte des Programms darstellen: Wirkungsvoll geben sie die Inhalte der Texte wieder, klangvoll schöpfen sie die technischen Möglichkeiten der venezianischen Schule aus.

Schade nur, dass in dem viersprachigen Booklet kein Platz gefunden wurde, um Biografien der Musikerinnen und Musiker einzufügen. Pedrini, Organist und ehemaliger Leiter des Vokalensembles Voces Suaves, nimmt selber die Feder in der Hand, allerdings nur, um den Aufnahmeort zu beschreiben: die Kirche von Santa Barbara im Herzogspalast zu Mantua. Das ist keine gewöhnliche Kirche: Untrennbar ist sie mit dem Namen – schon wieder – Claudio Monteverdis verbunden, der dort vor seiner venezianischen Zeit am Hofe der Gonzaga wirkte. Der Tontechniker Daniel Comploi hat in dieser historischen Stätte den Klang der Ensemblestücke eindrücklich festgehalten, und die Renaissance-Orgel von Graziadio Antegnati klingt hervorragend. Wer das CD-Programm auch live hören möchte, hat noch am 15. April in Romainmôtier die Möglichkeit dazu.

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Giovanni Croce: Motetti & Cantiones sacrae. Voces Suaves, Concerto Scirocco; Francesco Saverio Pedrini, Giulia Genini. Arcana A 439

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