Hannys Sammlung erklingt
Auf ihrer jüngsten CD haben die Mitglieder der Hanneli-Musik Tänze aus der Ostschweiz zusammengestellt. Wie immer aus dem enormen Fundus der Sammlung Christen.
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Die Landesausstellung1964 in Lausanne präsentierte die moderne Schweiz der Technik und Architektur und vergass dabei die Kultur und die Bedürfnisse der Bergbewohner. Die Studiengruppe Forum alpinum legte sozusagen als Lückenbüsser 1965 einen viersprachigen Bildband und die Anthologie authentischer Volksmusik aus den Schweizer Bergen vor. Diese Schallplatten-Edition wurde aber kaum beachtet, bereits 1966 wieder aus dem Handel gezogen und erst 2008 in einer CD-Überspielung als wichtiges Dokument wahrgenommen.
Das mangelnde Verständnis für die traditionelle Schweizer Musik liess auch die 435 handschriftlichen Notenhefte mit 11 874 Volkstänzen, die Hanny Christen von 1940 bis 1960 in der ganzen Schweiz gesammelt und 1963 der Universitätsbibliothek Basel geschenkt hatte, vergessen. Erst 1992 erkannte der Zürcher Musiker und Verleger Fabian Müller den Wert dieser Sammlung. Ein Team von 17 freiwilligen Mitarbeitern erstellte vorerst eine Datenbank und inventarisierte 10 000 Tänze nach Kantonen und Zuträgern. Mit finanzieller Unterstützung der Gesellschaft für die Volksmusik in der Schweiz (GVS/SMPS) konnten 2002 zehn grossformatige Bände unter dem Titel Schweizer Volksmusiksammlung. Die Tanzmusik der Schweiz des 19. und der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts gesammelt von Hanny Christen vorgelegt werden. Die einstimmig notierten Tänze aus der ganzen Schweiz (mit Ausnahme des Kantons Thurgau) wurden durch die Sammlerin vor allem aus handschriftlichen Tanzbüchern kopiert und mit gehörsnotierten Aufzeichnungen nach Instrumentalstücken älterer Musikanten ergänzt. Die Christen-Sammlung enthält Tanzgattungen, die das heutige aus Ländler, Walzer, Polka und Schottisch bestehende Repertoire mit Mazurka, Galopp, Kreuzpolka, Polonaise, Varsovienne, Tyrolienne, Allewander und Montferrine erweitern.
Nach dem Erscheinen der Christen-Sammlung gründeten professionelle Volksmusiker rund um den Cellisten Fabian Müller die Hanneli-Musig, machten sich an die Umsetzung des Notenmaterials und konnten 2004 die erste von mittlerweile sieben Einspielungen, das Album Blümchen Wunderhold vorlegen (ZYT 4895, vergriffen). 2005 folgten unter dem Titel Alpenträume Tänze aus der Innerschweiz (ZYT 4897, vergriffen). Ein Jahr später publizierten die sechs Musiker, die alle auch bei der Auswahl und dem Arrangement der einstimmigen Melodien mitarbeiten, die CD Tänzix (ZYT 4900). Kürzel und Nummern, die auf den Herkunftskanton und den Sammlungsstandort jedes Stückes hinweisen, erlauben den Rückgriff auf die originale Notation. Wer die mehrstimmigen Bearbeitungen der ersten drei Einspielungen gedruckt vorzieht, findet sie im Fachhandel.
Mit dem Album Seeland von 2008 lässt die Hanneli-Musig das stimmige Repertoire der Biberemusig aus den 1850er-Jahren (Region Murten, ZYT 4919) aufleben und mit dem Titel Baselbiet (ZYT 4930) wird Hanny Christen 2010 mit Volksmusik aus ihrer Heimat die Ehre erwiesen.
Im eben erschienenen Album Über Stock & Stei bieten der gewandte Ländlerklarinettist Dani Häusler, der Spielmann Johannes Schmid-Kunz an der Geige, der Herausgeber der Christen-Tänze und Cellist Fabian Müller, der Vollblutmusiker Ueli Mooser an Kontrabass und Saxofon, der Blechbläser Christoph Mächler und Fränggi Gehrig mit dem Akkordeon «lüpfige», zum Teil in virtuosem Tempo vorgetragene Tänze aus den Alpengebieten der Kantone St. Gallen, Glarus und Graubünden.
Es ist durchaus ein Pläsir, alle diese Einspielungen – und man hofft auf weitere – als Zeugnisse schweizerischer Musiklandschaften zu hören, aber man vermisst bei den Interpretationen der Hanneli-Musig die Bemühung um eine historische Aufführungspraxis.
Hanneli-Musig: Über Stock & Stei. Zytglogge ZYT 4980