Melchior aus Bremgarten
Das Ensemble Musica Fiorita hat im Verlauf von 14 Jahren sämtliche Motetten von Johann Melchior Gletle eingespielt und nun gesammelt herausgegeben.
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Wenig nur wissen wir über ihn: 1626 in Bremgarten/Aargau geboren, ab 1651 Organist und ab 1654 auch Domkapellmeister in Augsburg, wo er 1683 verstarb. Das ists im Wesentlichen neben den fünfzehn Kindern, die er in die Welt stellte, und seinen Werken, die uns geblieben sind – in Drucken, was von seinem Renommee zeugt: ein Schweizer im Schwaben nach dem Dreissigjährigen Krieg. Johann Melchior Gletle muss eine interessante Persönlichkeit gewesen sein. Das merkt man an jedem Ton dieser 36 Motetten op. 5, die 1677 erschienen sind. Gletle nämlich vertont nicht einfach Texte, er konzipiert Vokalwerke, was zu überraschenden und gelegentlich recht elaborierten Ergebnissen führt, kunstvoll und mit viel Gespür für die Sprachmelodik geschaffen. Das ist auf berührende Weise in den beiden einzigen deutschsprachigen Motetten zu spüren; Gletle gestaltet sie sehr beweglich zwischen Rezitativ und Arioso. So eröffnet sich eine verblüffende Vielfalt der kompositorischen Möglichkeiten. Es sind halt nicht immer die grossen Namen der Musikgeschichte, wo sich die Besonderheiten finden.
Hier liegt uns eine Gesamteinspielung vor, die über die Jahre hinweg entstanden ist: erste Aufnahmen im Mai 2000, weitere 2005, veröffentlich schon auf CD. 2014 wurde der Zyklus komplettiert. Dabei zeigen sich denn auch Unterschiede in der Lebendigkeit der Interpretation. Die Vokalpartien sind flüssig vorgetragen, meist mehr, manchmal auch etwas weniger geschmeidig. Die instrumentale Begleitung klingt prächtig und farbenvoll, klar und nicht üppig. Sie lässt den Stimmen stets den Vortritt. Das Ensemble Musica Fiorita, gegründet 1991 – es feiert soeben sein 25-jähriges Bestehen – und geleitet von Daniela Dolci, musiziert vor dem Hintergrund der Schola Cantorum Basiliensis, wo offenbar alle Ensemblemitglieder studierten, also historisch informiert.
Beim ganzen CD-Projekt mag man sich freilich doch fragen, ob es mehr als eine für die Musikwissenschaft wertvolle Edition ist. Zwar werden auf jeder der vier CDs Instrumentalsonaten zwischen die Motetten eingefügt, die für Abwechslung sorgen, und die Stücke wurden auch gegenüber der Druckausgabe neu und sinnvoll gruppiert, aber es bleibt halt doch bei der Aufreihung der Stücke. So wiegt diese CD-Box als Dokumentation schwer, als künstlerisches Produkt (was eine CD ja auch sein könnte) jedoch etwas zu schwerfällig. Die Aufführungen ausgewählter Kammermusik, so berichtet nämlich Wikipedia über Musica Fiorita, würden gelegentlich als gesellschaftliches Ereignis inszeniert. Genau die Lebendigkeit des Komponisten und des Musizierens in seiner Umgebung würde man gern auf den Gletle-CDs noch unmittelbarer spüren.
Johann Melchior Gletle: Motetten op. 5. Musica Fiorita; Leitung Daniela Dolci. PanClassics PC 10337.