Kantabilität als oberstes Prinzip

Der Pianist Patrizio Mazzola spielt und charakterisiert Domenico Scarlatti.

Domenico Scarlatti porträtiert von Domingo Antonio Velasco 1738. Casa-Museu dos Patudos / wikimedia commons

Es kommt eher selten vor, dass ein Interpret im eigenen Einführungstext, sofern sich ein solcher Vergleich überhaupt anstellen lässt, ebensoviel zu sagen hat wie mit seiner Werkdarstellung. Dem in Bern und Luzern unterrichtenden Schweizer Pianisten Patrizio Mazzola gelang zusammen mit einer hellhörigen und ausdrucksvollen Interpretation von 35 Sonaten Domenico Scarlattis eine verbale Präsentation, die aus zwei Gründen spezielle Beachtung verdient. Lag der ersten, vor mehreren Jahren erschienenen CD ein allgemein gehaltener Text mit Porträtcharakter bei, so stellt die Einführung zur zweiten den italienischen Altersgenossen von Bach und Händel nicht nur als «klavieristischen Propheten» dar. Mit kurzen, vortrefflichen Charakterisierungen bereitet Mazzola den Hörer auf die Stücke und deren betont kantable Gestaltung vor. Die Sonate in F-Dur L 474 / K 107 hört sich nach der Lektüre des Werkkommentars möglicherweise anders an als ohne: «Die heitere Stimmung in Dur schlägt in beiden Teilen in dramatische Verbissenheit um, die sich nicht mehr aufhellt. Ein Beispiel, wo eine Dur-Sonate in Moll endet – bei Scarlatti eine natürliche Logik, bei anderen Komponisten eine sehr seltene Ausnahme.»

Der Vielfalt von Scarlattis melodischen, harmonischen und spieltechnischen Einfällen trägt die Auswahl auf ideale Weise Rechnung. Auf eine empfindungsvolle, rhythmisch profilierte Sonate wie diejenige in g-Moll L 488 / K 8 folgt mit L 388 / K 2 in G-Dur eine spielerische, fast toccatenartige. Mit subtilem Pedalgebrauch kunstvoll ausgekostete Kantabilität und angriffige Motorik lösen sich fliessend ab, die Unterschiede könnten nicht grösser, der Radius der vielen Klangschattierungen und dynamischen Feinheiten nicht weiter sein. Wie sehr sich Mazzola als gebürtiger Südländer in Scarlattis Ausdruckskosmos einzufühlen vermag, veranschaulicht auch ein eigenes «Encore» im Stil des 1685 geborenen Neapolitaners.

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Domenico Scarlatti: Sonaten Vol II (20 Sonaten und «Encore»). Patrizio Mazzola, Klavier. Müller & Schade M & S 5072/2. (Vol. I, 15 Sonaten, M & S 5067/2)

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