Konzert für einen Elefanten
Rachmaninows Klavierkonzert Nr. 3 zeigt ein kunstvolles Beziehungsgeflecht von Themen und Melodien, und es stellt höchste Anforderungen an die Ausführenden.
Sergei Rachmaninow komponierte sein 3. Klavierkonzert im Sommer 1909 im Hinblick auf seine erste Konzertreise nach Amerika. Viel Zeit zum Üben blieb ihm nicht, und so half er sich während der Überfahrt mit einer stummen Tastatur. Die Uraufführung fand nämlich bereits am 28. November desselben Jahres in New York statt. Das New York Symphony Orchestra spielte unter der Leitung von Walter Damrosch. Kurz darauf wurde das Werk erneut in New York gegeben, diesmal unter dem Dirigat von Gustav Mahler. Da wäre wohl mancher gerne dabei gewesen …
Die enormen Anforderungen des Soloparts sollen Rachmaninow zur Äusserung bewogen haben, es sei ein «Konzert für einen Elefanten». Vielen gilt es auch als das Klavierkonzert mit den «meisten Noten». (Da wäre dasjenige von Busoni allerdings ein ernsthafter Konkurrent.)
Angesichts all dieser Superlative geht manchmal vergessen, wie ökonomisch und kunstvoll dieses Opus 30 gebaut ist. Fast alle Themen und Melodien lassen sich auf ein paar wenige Kernmotive zurückführen. Das gilt nicht nur für den Klavierpart, sondern auch für das Orchester, das eng mit der Solostimme verwoben ist. Deshalb wohl verwandte Mahler bei den Proben zu der erwähnten Aufführung sehr viel Zeit darauf, was Rachmaninow offenbar sehr beeindruckte.
Kunstvoll gemacht ist auch das Beziehungsgeflecht, das alle drei Sätze zusammenschweisst. Zum Beispiel im Finale, wo mittendrin auf eindrucksvolle Weise wieder das erste Thema des Kopfsatzes auftaucht. Die Verbindung vom ersten zum zweiten Satz gelingt zudem mit Hilfe eines komplexen Modulationsteils, der von d-Moll nach des-Dur führt. In ähnlicher Weise verfährt Rachmaninow übrigens auch in seinen anderen Klavierkonzerten.
Dominik Rahmer hat nun dieses 3. Klavierkonzert beim Verlag G. Henle neu herausgebracht, und das Resultat ist mehr als zufriedenstellend. Der Druck ist klar und gut lesbar und gibt den vielen Noten deutlich mehr Platz als etwa jener in der alten Ausgabe von Boosey & Hawkes. Die Fingersätze von Marc-André Hamelin sind vernünftig und klugerweise sparsam angebracht. Der Orchesterpart (Klavier II) wurde nach dem Original von Rachmaninow übernommen und von Johannes Umbreit zur besseren Spielbarkeit nur leicht modifiziert.
Nach Rachmaninow haben zunächst nur wenige Pianisten sich an dieses gewaltige Werk gewagt. Darunter in erster Linie Vladimir Horowitz, der es geradezu vom Komponisten «erbte». Heutzutage gehört es zum festen Bestandteil des Konzertrepertoires, auch wenn die Anforderungen dadurch natürlich nicht geringer geworden sind. Einer, der sich sowohl als Pianist wie auch als Dirigent sehr oft mit diesem Konzert beschäftigt hat, ist Vladimir Ashkenazy. Von ihm existieren gleich mehrere Aufnahmen, darunter als wohl bemerkenswerteste jene mit dem Concertgebouw-Orchester unter der Leitung von Bernard Haitink (Decca). Eine Einspielung, die vielleicht auch Rachmaninow-Verächter bekehren könnte …
Sergei Rachmaninow: Klavierkonzert Nr. 3 d-Moll op. 30, hg. von Dominik Rahmer, Klavierauszug von Johannes Umbreit, HN 1452, € 29.00, G. Henle, München