Ursprünglich für chromatische Harfe
In der Neuausgabe von Debussys «Danses» wird auch eine Phase aus der Entwicklungsgeschichte der Harfe greifbar.
Ein Juwel der Harfenliteratur sind die Danses (mit den beiden Teilen «Danse sacrée» und «Danse profane») von Claude Debussy für Harfe und Streichorchester. Die Farben, die Nuancen und die ganz eigene Dynamik, die durch Verschmelzung der gezupften und gestrichenen Saiten entstehen, sind unübertroffen.
Das Werk war 1903 eine Auftragskomposition der Firma Pleyel für ihre damals gebaute chromatische Harfe. Die Idee dazu – in Konkurrenz zur stetig erweiterten Mechanik der Doppelpedalharfe der Firma Erard – ergab sich aus der zunehmenden Chromatik in der Musik jener Zeit, was hiess, dass die Pedalarbeit immer umfangreicher und schwieriger auszuführen war. Pleyel versuchte, das Problem durch den Bau einer Harfe mit gekreuzten Saiten (diatonische und chromatische Saitenreihen) zu lösen und mit Auftragswerken an namhafte Komponisten für dieses Instrument zu werben. Die Werbestrategien gingen bis hin zu einer Klasse für chromatische Harfe am Conservatoire in Brüssel um 1900 und später in Paris.
Debussy nahm den Auftrag an, aber es verging noch ein Jahr, bis die Sache konkreter wurde. Ausschlaggebend dafür waren wohl das Drängen des Auftraggebers und der Wettbewerb der Revue musicale. Debussy hatte den Jury-Vorsitz. Zu den nominierten Werken gehörte eines des Komponisten Lacerda. Es trug den Titel Danse du voile als Teil einer Suite von Danses sacrées.
Mitte Mai 1904 waren Debussys Danses dann fertig. Er hatte etwas Mühe mit dem Instrument und der ganzen Komposition gehabt, wie man aus seinen Briefen erfährt. Die erste Ausführung fand im November 1904 in Paris statt, gelobt vom Publikum, eher kritisch aufgenommen seitens der Kritiker allen voran Fauré, für welchen das Werk «…vom so ganz eigenen Talent des Herrn Debusy nichts enthüllt [hatte], was nicht bereits bekannt wäre».
Die Pedalharfe wird Standard
Die chromatische Harfe, auch bedingt durch den dünneren und trockeneren Klang, konnte sich nicht durchsetzen. Bereits im Nachdruck der Danses 1910 wurde «chromatische oder Pedalharfe» angefügt. Henriette Renié, Harfenvirtuosin und Komponistin, führte das Werk in jenem Jahr auf der Doppelpedalharfe auf, was Debussy nur recht war, hatte dieses Instrument doch mehr Klangfülle und Ausdrucksmöglichkeiten. Als er 1915 seine Sonate für Flöte, Viola und Harfe komponierte, war die chromatische Harfe kaum mehr in Gebrauch. Die Danses waren zu Lebzeiten Debussys eines seiner meistgespielten Werke.
Die Henle-Neuausgabe, ediert von Peter Jost, wird sicherlich in vieler Hinsicht die Erstausgabe von Durand ersetzen können. Der notierte chromatische Harfenpart kann direkt auf die moderne Doppelpedalharfe übertragen werden, die Lesbarkeit ist vorbildlich und viele langjährige Druckfehler sind korrigiert. Das Vorwort (dt/fr/en) fasst gut zusammen, wie es zu diesem Werk kam und welche Bedeutung die chromatische Harfe hatte. Die Bemerkungen (dt/fr/en) sind sehr detailliert und informativ.
Mir liegt die Studienpartitur vor; es ist ferner ein Klavierauszug erhältlich (HN 1584). Angenehm ist, dass der Harfenpart frei von Fingersatz- oder Pedalvorschlägen ist, denn diese werden durch die Harfenisten individuell umgesetzt.
Claude Debussy: Danses, für Harfe und Steichorchester, hg. von Peter Jost, Studienpartitur, HN 7584, € 11.50, G. Henle, München