Klaviertrio für die Geschwister

Zwei Jugendwerke von Jean Sibelius wurden hier erstmals ediert. Gewisse Streicherstellen weisen auf den späteren Sinfoniker voraus.

Familiäres Streichtrio 1885: Jean Sibelius an der Geige, die ältere Schwester Linda am Klavier und der jünger Bruder Christian am Cello. Foto: Natalia Linsén / Wikimedia commons

Ob Jean Sibelius mit der Herausgabe dieser Frühwerke einverstanden wäre? Unterschiedlich sind die Aussagen, die der Komponist im Alter zu seinen damals verlorenen oder unveröffentlichten Kammermusik-Manuskripten machte. Von «Verbrennen» ist da die Rede, ein anderes Mal meinte er: «Es war ja die Zeit, als man sich entwickelte.»

Sibelius komponierte vor und während seiner Studienzeit für seine Geschwister jeden Sommer ein Klaviertrio und führte diese während der Ferien im Verwandten- und Freundeskreis auf. Selbst spielte er den Violinpart. Die Ortsbezeichnungen «Havträsk» und «Korpo» gehen auf diese Entstehungsgeschichte zurück, stammen aber nicht vom Komponisten. Fünf mehrsätzige Trios entstanden in den Jahren 1883 bis 1888. Keines wurde zu Sibelius’ Lebzeiten gedruckt. Später komponierte er keine Werke mehr für diese Besetzung. Die Erben schenkten die Manuskripte der beiden vorliegenden Klaviertrios 1982 der Finnischen Nationalbibliothek.

Die Herausgeber Folke Gräsbeck und Anna Pulkkis haben sich 2021 mit Akribie hinter die Aufbereitung dieser Quellen gemacht. Der kritische Bericht hat in beiden Heften beinahe den Umfang des Notentexts. Vom ersten Satz des «Havträsk»-Trios werden gar zwei Versionen wiedergegeben. Wer sich die Interpretationen im Netz anhört, kommt ganz schön ins Blättern!

Im Vergleich ist das kürzere Trio Havträsk in a-Moll (22 Minuten) das eingänglichere und ganz vom Geist der Romantik beherrschte Stück. An die Interpreten stellt es weniger technische Herausforderungen. Im mehr als halbstündigen Korpo-Trio wird diesen ungleich mehr abverlangt, Sibelius hat als Geiger wohl viel Paganini geübt! Dieses zweite Trio weist auf den späteren Sibelius hin. Besonders der mit «Fantasia» überschriebene zweite Satz experimentiert mit Klangfarben, Spieltechniken und Harmonien. Gelegentlich kommt der Instrumentalsatz etwas hölzern daher, etwa wenn das Klavier alleine spielt und seine Melodie über lange Strecken mit Vierteln begleitet. Wenn dann die Streicher zu zweit übernehmen, meint man allerdings die Tonsprache der späteren Sinfonien zu vernehmen. Dort wirken die formalen Blöcke viel zusammenhängender als in diesen Jugendwerken. Der Meister hat tatsächlich eine grosse Entwicklung gemacht!

Dem Genie des bedeutenden Sinfonikers nachzuspüren, das ist wohl die Legitimation dafür, uns mit seinen Frühwerken auseinanderzusetzen, auch wenn er diese nicht zum Druck freigegeben hat.

Jean Sibelius: Trio a-Moll «Havträsk» JS 207, für Violine, Violoncello und Klavier, hg. von Folke Gräsbeck und Anna Pulkkis, EB 9448, € 39.90, Breitkopf &Härtel, Wiesbaden

id.: Trio D-Dur «Korpo» JS 209, EB 9449, € 39.90

 

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