Hinreissend für Streichorchester
Die neue Fassung von Antonín Dvořáks «Nocturne» für Streichorchester H-Dur op. 40 bezieht eine kürzlich aufgetauchte Quelle mit ein.
Es ist ein Stück wundervoller Musik, das heute und noch immer in gleich mehrfacher Weise überrascht. Zunächst klingt dieses Nocturne überhaupt nicht nach dem Dvořák, den man aus seiner allzu präsenten amerikanischen Periode zu kennen glaubt. Schon die Entstehungsgeschichte macht neugierig. Denn der Satz entstammt ursprünglich einem frühen Streichquartett e-Moll (1869/70). Er ging dann (mit erweiterter Instrumentation) in das Streichquintett G-Dur op. 77 ein (hier bereits mit Kontrabass), wurde wieder ausgeschieden – und erlangte schliesslich mit einem nochmals überarbeiteten zweiten Teil ein Eigenleben als Nocturne H-Dur.
Ferner lässt der Satz viel Spielraum für die Interpreten. Schon eine erste Übersicht der verfügbaren Einspielungen ergibt ein verblüffendes Resultat: Man kann das Nachtstück mit seinen insgesamt 51 Takten sehr zügig und flüssig in unter sechs Minuten spielen oder es in über neun Minuten fast stehend zelebrieren. Die Wahrheit liegt wie immer in der Mitte, wobei der Fluss des 12/8-Takts gewahrt werden sollte. Auch wenn das Violoncello eine gefühlte Ewigkeit auf der Quinte fis verharrt: Dieser Satz hat es in sich, ist herausfordernd und wird das Auditorium ins Schwelgen bringen, ob nun in einfacher kammermusikalischer Besetzung oder süffiger mit einem chorischen Ensemble. Die fünf Kreuze mögen zunächst abschreckend sein, sorgen indes für eine Klangwirkung von bezaubernder Leuchtkraft.
Die aktuelle Bärenreiter-Ausgabe kann auf eine neu aufgetauchte Stichvorlage des Stückes zurückgreifen und berichtigt somit einige Lesarten. Vor allem aber ist die Ausgabe (Partitur und ein Streichersatz 4-4-3-2-1) sehr sauber, übersichtlich und schön gesetzt. Eine lohnenswerte Erweiterung des Repertoires.
Antonín Dvořák: Nocturne für Streichorchester H-Dur op. 40, hg. von Jonáš Hájek, Partitur und Stimmensatz BA 11564, € 29.50, Bärenreiter, Prag