Aufstrebende Gattung

Die Streichquartette von Johann Matthias Sperger gehören zu den zahlreichen Beiträgen, die in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhundert für diese eben aufgekommene Besetzung geschaffen wurden.

Johann Matthias Sperger. Kupferstich nach einem Werk von Leopold August Abel. Quelle: Wikimedia commons

Die fünf Jahrzehnte zwischen Johann Sebastian Bachs Tod 1750 und Beethovens zukunftsweisenden sechs Streichquartetten op.18 gelten als primäre Entwicklungsphase und als Höhepunkt der quantitativen Produktion für das neue Genre der vier Streichinstrumente. Der Viererbund und die entsprechenden Werke waren derart populär, dass es kaum Komponisten gab, die sich nicht darin versucht hätten. Diese grandiose Phase des Suchens nach Expansion der Vierstimmigkeit, parallel zur ebenfalls mit Hochdruck nach neuen Ausdrucksformen suchenden Sinfonie, führte zu einer schwer überschaubaren Menge an Werken, von denen nur wenige regelmässig auf den Konzertbühnen zu hören sind. Unter den selten gespielten sind auch solche, deren Schöpfer klangvolle Namen haben wie beispielsweise Luigi Boccherini.

Der Auswahlprozess der Zeit liess aus diesem halben Jahrhundert neben Joseph Haydn und Wolfgang Amadeus Mozart keinen einzigen weiteren Komponisten gleichrangig im Repertoire bestehen. Die Gründe sind vielfältig, auch bei qualitativ überdurchschnittlichen Erzeugnissen: die mangelnde Bandbreite eines Komponisten bezüglich der unterschiedlichen Gattungen; eine zahlenmässig kleine Produktion an Streichquartetten bzw. die Beschäftigung mit diesen über einen nur kurzen Zeitraum ohne Weiterentwicklung; die Beibehaltung eines einmal etablierten Stils; wenig oder keine Veröffentlichungen in Druck; geringe Aufmerksamkeit für einen Komponisten zu Lebzeiten oder ein unerwartet frühes Ableben. Und natürlich und zuallererst: die Abwesenheit eines individuellen Stils. Die seit dem Aufkommen der CD zahlreichen Neuveröffentlichungen auf Tonträgern schliessen erfreulicherweise viele Lücken, ebenso neue Editionen.

Die fünf im Schweriner Verlag Edition Massonneau verdienstvoll und in vorbildlicher Qualität herausgegebenen Quartette von Johann Matthias Sperger sind ein weiterer Beleg dafür, wie erfolgreich sich das Streichquartett im deutschsprachigen Raum etablierte. Insgesamt neun davon schrieb Sperger – sechs sind König Friedrich Wilhelm II. höchstpersönlich gewidmet –, der trotz seiner niederen Herkunft als Sohn eines «Küh-Halters» mittels seines aussergewöhnlichen Kontrabassspiels bis in die Vorzimmer der Mächtigen gelangte und ihnen sogar direkt zu Diensten wurde. Erst zu Spergers Zeit wurde es als Kontrabassist möglich, aus dem Schatten des ewigen Bassknechts zu treten und mit virtuoseren Kompositionen Aufmerksamkeit zu erregen. So liegt sein Augenmerk als Komponist auch besonders auf dem eigenen Instrument, das er mit zahlreichen Solokonzerten in den Fokus rückte und gleichzeitig die Spieltechnik erweiterte.

Dass ihm das Komponieren als Mittel zum eigenen Zweck nicht ausreichte, beweisen die Streichquartette, die ohne den Kontrabass auskommen. Komponiert 1788 und erschienen 1791, stehen sie zeitlich in unmittelbarer Nähe zu Mozarts Preussischen Quartetten und Haydns Opera 50 bis 64, zu jener Zeit also, als das Streichquartett in der Wiener Klassik Meisterwerke ersten Ranges hervorbrachte, die erst von Haydns Opus 76/77 und später Beethovens Erstlingen wieder in den Schatten gestellt wurden.

Kann Sperger auf Augenhöhe mit diesen Zeitgenossen konkurrieren? Sind seine hörbaren Versuche, Anschluss zu finden an die wohlbekannten Vorbilder, erfolgreich? Ja und Nein. Zunächst erreicht Sperger eine ohrenfällige Nähe, indem er die etablierten Stilmittel nutzt, die Themenfindung abwechslungsreich gestaltet und den klar vorgegebenen formalen Gesetzen der späten Klassik Folge leistet. Dabei hat man immer wieder das Gefühl, Ähnliches schon einmal gehört zu haben, ohne ein direktes Plagiat festzustellen. Man nimmt eine Verinnerlichung und Nutzung der gerade modischen Farbpalette wahr, die übrigens wunderbar zu unterhalten weiss. Worin Sperger scheitert, ist die Etablierung einer eigenständigen Musiksprache, aber auch, auf der Höhe seiner Zeit zu sein. Man stellt dies schon anhand der Dreisätzigkeit der Streichquartette fest, die Haydn bereits in seinen ersten vollgültigen Quartetten op. 9 (1769) nicht mehr nutzte, Mozart ab den sechs Wiener Quartetten KV 168 bis KV 173 (1773) verwarf. Viel bedeutender aber ist, wie sparsam Sperger die Themen verarbeitet, wie er nie zu einem vergleichbar durchdrungenen Satz findet, besonders auffällig in den knappen Durchführungen und Codas. Die Begleitfiguren der Mittelstimmen, ob nun zu erster Violine oder Cello, sind zuweilen schablonenhaft und harmonisch sehr vorhersehbar. Die Stimme der ersten Violine, die bei Haydn wahrlich akrobatisches Geschick erfordert, verlässt selten den Tonraum bis zur dritten Lage.

Trotz dieser eher rückwärtsgewandten Musiksprache sind seine Quartette sehr angenehm, heiter, eloquent und handwerklich perfekt gemacht. Für ein Laienensemble sind sie sehr gut spielbar, für Profis eine dankbare Musizierfreude prima vista, besonders in den volkstümlich mitreissenden Schlussrondi. In den langsamen Mittelsätzen schliesslich geht Sperger am tiefsten, kostet er sängerische Mittel schön aus. Will man Werke eigenständigeren Charakters spielen, bieten sich beispielsweise die Quartette von Franz Xaver Richter, Antonio Rosetti und die späten Werke von Joseph Martin Kraus an.

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Johann Matthias Sperger: Streichquartette Band I, 3 Quartette op. 1, hg. von Reinhard Wulfhorst, Partitur und Stimmen, EM 0421, € 35.20, Edition Massonneau, Schwerin

id.: Band II, Quartette B-Dur und g-Moll, EM 0521, € 32.00

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