Reizvoller Mikrokosmos
Bei seiner Bearbeitung von Béla Bartóks umfassender Klaviersammlung für Gitarre ist Siegfried Steinkogler möglichst nah am Original geblieben. Die Fassungen sind daher anspruchsvoll.
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Soll man Béla Bartóks berühmte pädagogische Pianoliteratur auch auf der Gitarre spielen? Es ist irgendwie nahe liegend und doch kein einfaches Unterfangen. Während auf der Klaviertastatur linke und rechte Hand zwar interagieren, aber doch je eigenständige Bewegungsabläufe verfolgen, werden die Töne der Gitarre in der Regel nur von vier Fingern einer einzigen, der linken, Hand gegriffen. Da braucht es einiges an feinmotorischer Geschicklichkeit, um etwa einen fetzigen Siebenachtel-Rhythmus und die darüberliegende Melodie gleichermassen geschmeidig zur Geltung zu bringen.
Nun hat sich Siegfried Steinkögler des Mikrokosmos angenommen, jener monumentalen Sammlung von Bartók mit über 150 kurzen Stücken, und 16 davon für die Sologitarre eingerichtet. Sie enthalten alles, was die Qualität von Bartóks Unterrichtsliteratur ausmacht: gefällige, oft folkloristische Melodien, attraktive Rhythmen, mit scharfer Chromatik versetzte Dur-/Moll-Harmonik, kontrapunktische Zweistimmigkeit. Immer wieder überraschend auch, wie reizvoll zwischendurch parallele Oktaven, kompositorisch wirksam eingesetzt, klingen können.
Der österreichische Gitarrist, Komponist und Herausgeber bleibt der Vorlage so treu wie irgend möglich. Doch was in den Klaviernoten sehr einfach daherkommt, sieht in der Gitarrennotation furchtbar kompliziert aus – und ist es auch! Fingersätze, Lagenbezeichnungen und Saitennummern belasten das Notenbild, helfen der Gitarristin aber bei der Orientierung auf dem Griffbrett. So muss zum Beispiel ein begleitendes Ostinato im Laufe eines Stücks je nach Lage der Oberstimme ganz unterschiedlich gegriffen werden, und da sind zusätzliche Spielangaben nützlich.
Schon 2017 hat Steinkogler Bartóks Sammlung Für Kinder bearbeitet – allerdings für zwei Gitarren statt nur eine und mit einem anderen Ziel: Bartóks Musik auch jungen Spielerinnen und Spielern nahezubringen. Mit dem Mikrokosmos geht er einen anderen Weg: «Bei mehreren denkbaren gitarristischen Lösungen habe ich oftmals auf eine vereinfachende zugunsten einer anspruchsvolleren, aber detailgetreuen Variante verzichtet», schreibt er im Vorwort. Bartóks Miniaturen sind es denn auch durchaus wert, dass an ihre Ausführung hohe Ansprüche gestellt werden.
Béla Bartók: Mikrokosmos, 16 Stücke für Gitarre bearb. von Siegfried Steinkogler, UE 38060, € 14.95, Universal Edition, Wien