Für alle Stimmlagen

Die neue Ausgabe der Schubert-Lieder überrascht mit Zusatzmaterial und Heften für mittlere und tiefe Stimme von allen Liedern.

Erste Seite des «Erlkönig»-Manuskripts. Quelle: Franz Schubert, Sein Leben in Bildern, S. 22 / wikimedia commons

Die Urtext-Ausgabe der Schubert-Lieder, basierend auf der «Neuen Schubert-Ausgabe», liegt inzwischen in neun von insgesamt dreizehn geplanten Bänden vor. Herausgegeben von Walther Dürr, überrascht sie mit verschiedenen Neuerungen. Einerseits sind die Lieder neu geordnet, zum anderen wird ganz neues, autorisiertes Notenmaterial zugänglich gemacht, und für den ausführenden Sänger ergeben sich verschiedenste ganz praktische Vorteile.

Man hat sich entschlossen, die Lieder nicht durchwegs chronologisch zu ordnen oder, wie bei der seit Mitte des 19. Jahrhunderts vorliegenden Peters-Ausgabe, nach dem vermuteten Stellenwert für die musikalische Praxis vorzugehen, sondern vielmehr die Ordnung zu übernehmen, die Schubert selbst seinen Liedern gegeben hat. Das betrifft rund ein Drittel aller Lieder, die zu seinen Lebzeiten veröffentlicht wurden. Die restlichen sind dann in der Folge ihres Entstehens angeordnet.

Den Liedern selbst ist umfangreiches (zweisprachiges) Informationsmaterial vorangestellt: Es gibt eine englische Übersetzung zu jedem Text, ausführliche Kommentare zu Text, Entstehungsgeschichte und Quellenlage sowie Informationen zur Anzahl eventuell vorhandener alternativer Fassungen. Diese alternativen Fassungen sind im Anhang jedes Bandes beigefügt, und somit steht dem Ausführenden ergänzendes Notenmaterial zur Verfügung, das vorher nicht zugänglich war. Beispielsweise liegt das Lied der Mignon, «Nur wer die Sehnsucht kennt», wohl eines der bekanntesten Schubertlieder überhaupt, in nicht weniger als fünf Fassungen vor, die sich zum Teil gravierend voneinander unterscheiden. Dem Interpreten wird so Gelegenheit gegeben, die Fassung zu wählen, die seinem Verständnis des Werkes am nächsten kommt. Dieses neue Material lädt zu einer hoch spannenden Entdeckungsreise in eine bisher nicht bekannte Schubertwelt ein.

Nicht zuletzt aber sind für die ausführenden Sängerinnen einige unschlagbare Vorteile zu vermerken: Lagen in der alten Schubertausgabe nur die Bände 1 bis 3 in transponierten Versionen vor und musste man ab Band 4 mit den Originaltonarten vorliebnehmen oder selbst transponieren, eröffnen sich besonders für mittlere und tiefe Stimmen nun ganz neue Schätze! Das ganze Liedschaffen ist transponiert und in drei verschiedenen Tonarten zu haben.
Was mir auch gefällt, ist, dass bei der Transposition der grossen Zyklen wie «Winterreise» und «Schöne Müllerin» die ursprüngliche Tonartenfolge bewahrt wurde, wo noch in der Peters-Ausgabe nach anderen Kriterien transponiert wurde. So ist in der mittleren Ausgabe Die schöne Müllerin als Ganzes um eine kleine Terz, die Winterreise um eine grosse Sekunde nach unten versetzt. Eine Vorgehensweise, die sicher der schubertschen Intention viel eher nachkommt.

Eine kleine, aber hilfreiche Sache möchte ich noch hervorheben: das direkt am Anfang des Buchs zu findende Inhaltsverzeichnis und die damit einhergehende Benutzerfreundlichkeit. Man muss sich nicht seitenlang durch Quellen, Übersetzungen und Kommentare graben um es schliesslich aufzuspüren.

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Franz Schubert: Lieder, hg. von Walter Dürr, Band 1–9 für hohe Stimme: BA 9101–9109; für mittlere Stimme: BA 9121–9129; für tiefe Stimme: BA 9141–9149; je € 36.50, Bärenreiter, Kassel

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