Melodiöse Etüden
Die «Capriccios and Exercises for the Violoncello» von Robert Lindley taugen nicht nur als Etüden.
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Robert Lindley (1776–1855) galt über 50 Jahre lang als der bedeutendste Cellist Englands und wurde 1822 zum ersten Professor für Violoncello an der Royal Academy of Music in London ernannt. Er schrieb überwiegend für sein Instrument, darunter vier Cellokonzerte und Kammermusik. In der Etüdenliteratur der Cellisten gehören seine 1826 veröffentlichten zwölf Capriccios and Exercises for the Violoncello op. 15 nicht zum Standardrepertoire, zu Unrecht, wie sich bei genauerem Hinschauen rasch herausstellt.
Lindleys Capricci sind meist zweisätzig und behandeln bis auf die Nummern 1 und 2 gleich mehrere technische Probleme in einem Stück. Die Nummern 1 bis 4 bewegen sich in der ersten bis fünften Lage, ab Nummer 5 wird der Daumenaufsatz verlangt. Besonders lehrreich sind vielfältige, abwechslungsreich komponierte Doppelgriffpassagen, welche bis zu Dezimengriffen reichen.
Die von Valerie Walden redigierte, auf zeitgenössischen Quellen basierende Urtext-Ausgabe enthält die originalen Fingersätze und Bogenstriche. Alternative Fingersätze sind konsequent unter das Notensystem gesetzt, ergänzte Bögen sind gestrichelt gedruckt. Die Schlüsselnotation ist dem heutigen Standard ohne oktavierenden Violinschlüssel angepasst. Zum besseren Komfort beim Blättern enthält die grosszügig angelegte Edition sogar Ausklappseiten.
Bedauerlicherweise hat der Komponist keine zweite Cellostimme komponiert, denn diese hätte die melodiösen Capricci für den Konzertgebrauch zusätzlich aufgewertet.
Robert Lindley: Capriccios and Exercises for the Violoncello, op. 15, hg. von Valerie Walden, BA 10936, € 16.95, Bärenreiter, Kassel 2019