Ehrerbietungen eines Lausbuben

In seinem Streichquartett Nr. 1 «Tributes» spielt Hyung-ki Joo hintersinnig und humorvoll mit Versatzstücken, die an Henry Purcell, Samuel Beckett, Ludwig van Beethoven, Edvard Munch, J. S. Bach und Arnold Schönberg erinnern.

Hyung-ki Joo während eines Konzerts in Hainburg 2017. Foto: Florian Simon/wikimedia commons

Der englische Pianist, Komponist und Multitasker südkoreanischer Herkunft, Hyung-ki Joo, ist ein musikalisches Phänomen. Ausgebildet an einer der international renommiertesten Talentschmieden, der Menuhin School in London, bahnten ihm sein grosses musikalisches Talent, sein unstillbarer Wissensdurst und seine umwerfenden dramaturgisch-komödiantischen Fähigkeiten schnell den Weg zu einer bedeutenden Karriere im klassischen Musikbetrieb und weit darüber hinaus. Das Duo Igudesman & Joo ist weltberühmt, ein Youtube-Hit, die beiden füllen mit ihren humoristischen Programmen grosse Hallen. Ihn darauf zu reduzieren, würde aber heissen, ihn zu unterschätzen. Es geht Joo nicht nur um die Parodie, die Hinterfragung tradierter Konzertformen, die Maskerade, sondern auch um eine Neuinszenierung subtiler Inhalte. Seine Arbeiten sind immer von Respekt vor den grossen Meistern gekennzeichnet. Spielend leicht wechselt er von E nach U, bleibt aber immer souverän-glänzender Pianist und Wertevermittler. Von ihm ein «seriöses» Streichquartett zu erwarten, wäre dennoch ein Missverständnis, denn er möchte sich nicht messen lassen am etablierten Kanon, sondern musikalisch auf der Bühne (sicher hier nicht via Aufnahme) unterhalten, zum Nachdenken anregen, inspirieren.

Das vorliegende Quartett entstand noch zu Studienzeiten und nimmt all jene Eigenschaften vorweg, die ihn später als bewunderten Bühnenzauberer kennzeichnen. Die überaus kurze Partitur – fast fühlt man sich an Anton Webern erinnert – fasst sechs unterschiedliche Impulse zusammen, die Joo «Tributes» nennt, also Ehrerbietungen an Vorbilder, Inspiratoren aus Musik, Theater und bildender Kunst. Es sind Henry Purcell und sein Stück Fantasia on One Note, Samuel Becketts Warten auf Godot, Ludwig van Beethovens 5. Sinfonie, Edvard Munchs Der Schrei, J. S. Bachs Französische Suite h-Moll (BWV 841) und schliesslich Arnold Schönbergs Zwölftontechnik. Wer hier eine aufgefächerte, intellektuell anspruchsvolle Hommage an die genannten Grössen erwartet, liegt falsch. Joo zündet einen Bühnenspass, der technisch gekonnt Hintersinn mit Humor verbindet, Bekanntes lausbubenhaft demontiert und wieder zusammenflickt, das Publikum auf falsche Fährten führt, nur um lautstark und mit Aplomb (oder kultiviert mit gespieltem Ernst) Vertrautes zu zitieren, bevor sich neue Fragezeichen auftun, um final aufgelöst oder zerstäubt zu werden. All dies erfordert vor allem eines: Interpreten, die sich auf dieses augenzwinkernde Spiel einlassen und das Stück mit dramaturgischem Verständnis zu Gehör bringen.

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Hyung-ki Joo: Streichquartett Nr. 1 «Tributes»; Partitur, UE 36 966, € 19.95; Stimmen, UE 36 967, € 24.95; Universal Edition, Wien 2017

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