Sinfonischer Atem
Die sechssätzige Sonate in h-Moll ist wohl nicht Carl Czernys Meisterwerk, aber eine durchaus originelle Ausgestaltung des Gattungsmusters.
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«Carl Czerny war vielleicht der grösste Pianist, der fast nie auftrat, und der grösste Komponist, der in Vergessenheit geriet», schreibt Iwo Zaluski in seinem Vorwort zur Neuausgabe von Czernys neunter Klaviersonate. Er zählt ihn neben Beethoven und Schubert sogar zum «grossen Triumvirat» der klassischen Klaviersonate. Diese Aussagen sind natürlich in höchstem Masse anfechtbar. Was das «Triumvirat» betrifft, sollte man Haydn und Mozart nicht so achtlos übergehen. Und es ist auch nicht wahr, dass Czerny als Komponist in Vergessenheit geraten ist. Allerdings kommen einem da nicht unbedingt seine Klaviersonaten in den Sinn. Diese würden tatsächlich mehr Beachtung verdienen.
Seine neunte in h-Moll op. 145 hat nun Iwo Zaluski bei Doblinger neu herausgebracht. Ungewöhnlich die formale Anlage: sechs Sätze, darunter eine freie Fuge als Abschluss. Das erinnert eher an Beethovens späte Streichquartette als an eine klassische Sonate. Auch die harmonische Sprache ist stellenweise ungewöhnlich apart. Die melodischen Phrasen sind sehr weiträumig gestaltet, besonders im langsamen dritten Satz (Adagio molto espressivo) – wohl dem Höhepunkt des Werkes –, der von einem geradezu sinfonischen Atem beseelt ist.
Eigentlich erstaunlich: den schwächsten Eindruck macht die pianistische Ausarbeitung dieser Musik. Der Klaviersatz ist zwar bequem zu spielen, leidet aber darunter, dass gerade die vielen Begleitfloskeln stereotyp und einfallslos klingen.
Wer den Komponisten Czerny «at his best» erleben möchte, greift da besser zur vierhändigen Grande Sonate in f-Moll op. 178, einem ungewöhnlich leidenschaftlichen und farbigen Werk, ganz im Geiste der Appassionata seines Lehrers Beethoven.
Carl Czerny: Sonate Nr. 9 h-Moll op. 145, hg. von Iwo Zaluski, Diletto Musicale DM 1470, € 18.95, Doblinger, Wien