Dringend zu entdeckende Meisterinnenwerke
Das umfangreiche Œuvre von Emilie Mayer ist noch zu entdecken. Das Streichquartett e-Moll, eines von zwölf (!), besticht durch Klarheit, Geschlossenheit und ansprechende Themen.
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Keine der verhältnismässig wenigen Komponistinnen des 19. Jahrhunderts hat bis heute den Sprung auf die Höhe des Podests der männlichen Kollegen geschafft. Noch immer sind gleichrangige Produktionen weiblicher Provenienz Kuriositäten im Konzertbetrieb; sie in einem Programm herauszustellen – so verdient und ehrenwert dies sein mag – kommt wiederum einer unfreiwilligen Stigmatisierung gleich. Eine, die zu Lebzeiten von Publikum und Kollegen anerkannt und geschätzt wurde, war die in Mecklenburg geborene Komponistin Emilie Mayer (1812–1883).
Ihr Œuvre ist bemerkenswert, sie galt als hochambitioniert und fleissig, ja opferte ihrer Kunst sogar eine eigene Familie. Acht Sinfonien, zwölf Streichquartette, Klavierkammermusik, fünfzehn Konzertouvertüren, Violin- und Cellosonaten, Klavierwerke, ein Singspiel nach Goethe, Lieder und vierstimmige Chöre, ein reges Konzertleben, ein für Persönlichkeiten der Gesellschaft und Konzerte offenes Haus in Berlin und Respekt von weiblicher und männlicher Seite kennzeichnen ihr Leben.
Warum es dann wieder so still um sie und ihr Werk wurde, ist schwer nachvollziehbar, denn es enthält alles, was gute Musik ausmacht: technische und instrumentale Meisterschaft, unmittelbar prägnante und verständliche Themen, Raffinesse, Innovation, Sanglichkeit und eine spezifisch eigene Note. Man mag anführen, es erginge ihr nicht anders als vielen Komponisten ihrer Zeit, beispielsweise Friedrich Gernsheim, Geschichte sei also mithin nicht gerecht. Aber warum hört man die grosse, überwältigende 5. Symphonie in f-Moll nicht auf den Konzertpodien guter Orchester, dafür aber zum x-ten Mal Brahms, neben dem sie sich nicht zu verstecken braucht, sondern mit ihm beinahe verwechselt werden könnte? Konzertveranstalter und Intendanten sind vielfach leider zu desinteressiert oder ignorant. Leider hat die Komponistin auch keine engagierte Fürsprecherin in Form einer Emilie-Mayer-Gesellschaft, die es noch zu gründen gilt!
Zwölf Streichquartette aus spätromantischer Zeit sind eine höchst ungewohnt grosse Anzahl; Mayer hat sich also intensiv mit der Gattung beschäftigt. Sie fallen in ihre frühe Kompositionsphase, das letzte, Opus 14 g-Moll, erschien 1858. Da war sie aber eine voll ausgereifte Meisterin ihres Fachs, die sich zu dieser Zeit gerne auf Beethoven bezog. Während die beiden Klavierquartette und Klaviertrios aufgenommen wurden, fehlen Einspielungen der Streichquartette völlig. Die vorliegende Partitur zeugt von einer glasklaren Architektur, Ausgewogenheit der Stimmen, formaler Geschlossenheit und schönen Themen. Komplexe Verschränkungen oder Verschachtelungen wie bei Schumann sind hier nicht zu finden. Es steht auch nicht der späte, sondern allenfalls der mittlere Beethoven Pate. Mit Sicherheit ein überaus lohnenswertes Stück für eine Wiederentdeckung. Schade nur, dass die Furore-Edition weiterhin auf ein wahrlich unattraktives Äusseres setzt und den grossen Inhalt in einen dürftigen Umschlag steckt, hinter dem man keine Juwelen vermutet.
Emilie Mayer: Streichquartett e-Moll, hg. von Heinz-Mathias Neuwirth, Erstausgabe, fue 10056, € 39.90, furore-Edition, Kassel