Saxofonschulen 1846 und heute

Was soll ein solcher Lehrgang leisten? Ein Blick zurück und auf das neue «Magic Saxophone».

Foto: James Taylor/flickr commons

Georg Kastner hat 1846 die wahrscheinlich erste Méthode Complète et Raisonnée de Saxophone ediert. Dieses Unterrichtswerk wurde Adolphe Sax gewidmet und ist nur wenige Jahre nach der Erfindung des Instruments entstanden. In der Bibliothèque Royale in Paris erhält man Einblick in eine Methode, die, wie viele Instrumentalschulen des 19. Jahrhunderts, nach Einführung elementarer Musiktheorie und Aufführungspraxis instrumentaltechnische Anweisungen erteilt und die Baucharakteristik des Instrumentes beschreibt. Anschliessend folgen erste Übungen: «Les exercices doivent s’exécuter ad libitum, sous le rapport du mouvement, (…) il faut répéter plusieurs fois chaque exercice. L’attaque de chaque note doit s’effectuer par un coup de langue sec et soutenu toute la durée de la note.» – So lauten die Erklärungen für die Übungen in C, die mit Ganzen, Halben, Vierteln, Achteln und Sechzehnteln während mehreren Seiten in Intervallen ohne Alterationen den Umfang von zwei Oktaven erreichen. Danach wird das Gelernte im Duospiel mit dem Lehrer gefestigt und die Intonation geübt. Zwischen den fortschreitenden Übungen und Musikstücken aus Kastners Feder sind immer wieder kurze prägnante Merksätze eingefügt – im Grossen und Ganzen bedient sich die Methode der Notation als Vermittlungsgrundlage und lässt die Musik nicht zu kurz kommen: «Choix de morceau facile de divers auteurs.» Weiter Herausforderungen bieten Marschner, Cimarosa, Mozart, Rossini, Auber, Bellini und nicht zuletzt der Autor selbst in den «Variations faciles et brillantes».

Magic Saxophone nennt sich die neue Schule von Barbara Strack-Hanisch. Die vielseitige Musikerin (Flötistin, Saxofonistin, Instrumentalpädagogin und Musikwissenschaftlerin) legt mit ihrem umfassenden Unterrichtswerk eine beindruckende Sammlung von Übungen Spielanleitungen, Tipps, Musikstücken, Improvisations- und Kompositionsideen vor, die sorgfältig und durchdacht aufgebaut sind. Die Schule umfasst zwei Bände, jeweils für Altsaxofon oder Tenorsaxofon. Spielband eins und zwei ergänzen die in den Kapiteln behandelten Themen mit Volksweisen, Liedern aus Film und Fernsehen, klassischen und romantischen Melodien grosser Meister und swingenden Momenten aus der Feder von James Rae. Die Duette und Solostücke mit einfacher Klavierbegleitung laden zu eigenständiger Gestaltung ein, denn die Autorin hat bewusst auf das Setzen von Atemzeichen und Dynamikangaben verzichtet.

Einmal mehr wirft das Betrachten dieser Saxofon-Schulen Fragen auf: Was wollen wir heutzutage im Instrumentalunterricht wie und warum vermitteln? Welche Stoffe scheinen uns von Bedeutung und welche wecken die Neugierde der Kinder, Jugendlichen und erwachsenen Lernenden? Was hat ein Kind um 1846 motiviert, mit welchen Mitteln können wir heutzutage unsere Schülerinnen und Schüler begeistern? Haben historische Instrumentalschulen gegenwärtig noch eine pädagogische Relevanz? Inwiefern sind zeitgenössische Publikationen über diese Inhalte hinausgewachsen?

In einer stark vom Individualismus geprägten Welt scheint mir ein auf die verschiedenen Schülerinnen und Schüler zugeschnittener Weg erstrebenswert. Modularität ist hier das Schlagwort – Aufteilung eines Ganzen in individuell abgestimmte Teile, die nach und nach zusammengefügt und ausgetauscht werden können oder allmählich an Schnittstellen interagieren. So fusst der Unterricht auf einem Gesamtsystem, das – ähnlich wie eine Instrumentalschule – in Form und Inhalt geprägt ist durch den Lehrenden und dessen implementierter Musiktradition. Durch die Modularität der teilweise standardisierten Elemente tritt sie dem Schüler jedoch in wahrhaft magischer Weise entgegen und kann von ihm mitbestimmt werden.

Viele Wege führen zur Musik. Gewiss ist: Die Wanderung ist schöner und macht mehr Freude, wenn wir als selbstbestimmte Lernende beteiligt sind. Eine Wanderkarte ist nicht für jeden ein Erlebnisgarant, eine Saxofonschule kein verlässliches Rezept für musikpädagogische Höhenflüge. Auch ein Bergrutsch ist nicht auszuschliessen: Eine Methode trägt das Risiko mit sich, Selbstzweck zu sein, anstatt den betreffenden Schüler zu fördern. Ob Magic Saxophone tatsächlich – wie Daniel Gauthier in der Einleitung schreibt – eine Schule für Kinder unserer Zeit ist, können nur die Schüler selbst beantworten.

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Barbara Strack-Hanisch, Magic Saxophone, Altsaxofonschule, Der spielerische Einstieg für Kinder ab acht Jahren sowie Jugendliche und Erwachsene; Band 1, UE 36001; Band 2, UE 36003; je € 16.00 mit CD, Universal Edition, Wien

id., Spielband für Altsaxofon; Band 1, UE 36002; Band 2, UE 36004; je € 12.50

id., Tenorsaxofonschule, UE 36421 und UE 36423; Spielband für Tenorsaxofon, ­UE 36422 und UE 36424

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