Rückwärts- und vorwärtsgewandt

Eine schwer zu beherrschende Klaviersonate, in der hochexplosive Musik doch noch gebändigt ist.

Skrjabin portätiert von Leonid Pasternak, 1909. wikimedia commons

Skrjabins vierte Klaviersonate von 1903 steht mit einem Bein durchaus noch im 19. Jahrhundert. Im eröffnenden Andante denkt man gelegentlich an Tristan oder auch an die farbenprächtige Chromatik der Violinsonate César Francks. Und das anschliessende Prestissimo volando – so flüchtig hingehaucht es teilweise klingt – entpuppt sich bei näherer Betrachtung als eine ganz klassische Sonatensatzform. Daneben gibt es aber schon deutliche Auflösungstendenzen in der Harmonik und komplexe rhythmische Strukturen, die weit ins 20. Jahrhundert weisen. Gewisse Passagen «swingen» geradezu!

Die Einsätzigkeit aller späteren Sonaten Skrjabins ist hier bereits vorgespurt, erscheint doch am Ende des Werks das Hauptthema des ersten Satzes wieder, diesmal aber in hymnisch überhöhtem Fortissimo. Vielleicht eine Art Klammer, die diese hochexplosive Musik gerade noch zu bändigen weiss?

Valentina Rubcova hat diese kürzeste Sonate Skrjabins (das Meisterwerk dauert nicht einmal acht Minuten!) im Henle-Verlag neu herausgebracht und mit einem sehr lesenswerten Vorwort versehen. Michael Schneidts Fingersätze sind klug und wohldosiert. Wer mit den schwer zu beherrschenden, raschen Pianissimo-Akkorden in der rechten Hand Probleme hat (Prestissimo volando, Takt 1 und ähnliche Stellen), sollte sich im Übrigen nicht schämen, zwei bis drei Noten auch an die Linke abzugeben.

Im Anhang findet sich auch ein programmatischer Prosatext, der offenbar mit Billigung Skrjabins der Sonate beigefügt wurde. Die Autorenschaft ist indes nicht geklärt. Mag jeder selber entscheiden, ob ihn dieses Poem eher zur Musik hin oder aber von ihr weg führt …

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Aleksandr Skrjabin, Klaviersonate Nr. 4 Fis-Dur op. 30, hg. von Valentina Rubcova, HN 1110, € 10.00, G. Henle, München 2015

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