Bedeutende Erstausgabe
Friedrich Gernsheims ausladende Sonate für Cello und Klavier deutet den Schritt von der Romantik in neuere Strömungen an.

2014 wurde der 175. Geburtstag von Friedrich Gernsheim (1839–1916) wesentlich stiller begangen als etwa der seines im selben Jahre geborenen Komponistenkollegen Joseph Rheinberger (1839–1901). Wie Rheinberger war auch Gernsheim zu Lebzeiten ein erfolgreicher Komponist und bedeutender Lehrer. So zählte u. a. Engelbert Humperdinck zu seinen Schülern. Er war mit Johannes Brahms befreundet und dirigierte 1870 die erste vollständige Aufführung von dessen Deutschem Requiem in Erinnerung an die Opfer des Deutsch-Französischen Krieges. Auch jüngere Zeitgenossen schätzten ihn; sowohl Gustav Mahler wie auch Richard Strauss dirigierten seine 3. Sinfonie c-Moll, op. 54 (Mirjam). Nach Gernsheims Tod 1916 gerieten seine Kompositionen allmählich in Vergessenheit. Verheerende Wirkung hatte zudem das 1933 verhängte Aufführungsverbot für jüdische Komponisten in Nazi-Deutschland. Am Ende des Zweiten Weltkriegs war sein Name im Bewusstsein der Musikwelt beinahe gänzlich ausgelöscht.
In den letzten Jahren regte sich wieder vermehrt Interesse für sein Œuvre. Von seinen vier Sinfonien, zahlreichen Kammermusikwerken oder dem virtuosen Cellokonzert sind mehrere CDs erschienen, welche den Gehalt seiner Musik auf das Schönste dokumentieren.
Die 1914 entstandene Sonate in e-Moll op. 87 gelangte nach beinahe 100-jährigem Dornröschenschlaf im September 2012 in Worms zur Uraufführung und ist 2014 beim Dohr-Verlag in Köln im Erstdruck erschienen.
Das umfangreiche dreisätzige Werk stellt beiden Ausführenden dankbare Aufgaben. Der Komponist kostet den Klangumfang des Cellos von tiefen bis in hohe Lagen gekonnt aus; der vollgriffige Klavierpart erinnert zuweilen etwas an Brahms. Er ist geschickt gesetzt, so dass die Cellokantilenen auch in Forte-Passagen nicht zugedeckt werden. Die Ecksätze atmen noch ganz den Geist der ausgehenden Romantik. Ab und zu blitzen Anklänge an Dvořák oder Grieg auf. Besonderes Vergnügen bereitet der dramatische c-Moll-Mittelteil des 2. Satzes, dessen perlende Klavierarpeggien schon beinahe impressionistisch angehaucht anmuten.
Die Ausgabe ist sorgfältig redigiert, das Notenbild sehr klar und grosszügig gestaltet. Das lesenswerte Vorwort und der aufschlussreiche Kritische Bericht bieten zudem Hinweise auf kompositorische Zusammenhänge zu anderen Werken Gernsheims.
Friedrich Gernsheim, Sonate in e-Moll op. 87 für Violoncello und Klavier, Erstdruck hg. von Christian Schmitt-Engelstadt, E. D. 11446, € 29.80, Edition Dohr, Köln 2014