Jazzig – oder doch klassisch?

Kurze Stücke für Oboe und Fagott von Mathias Rüegg und Jean-François Michel. Nicht alle ohne Titel, aber alle mit Humor.

First, second oder third wife? Foto: Günter Havlena / pixelio.de

Das kürzeste Stück der vorliegenden vier Hefte trägt selbstbewusst den Namen untitled, but lovely. Der Komponist Mathias Rüegg (*1952) entscheidet sich weder im Vorwort noch im Notentext, ebensowenig wie vor hundert Jahren George Gershwin, wie seine Musik gespielt werden sollte, «klassisch» oder «jazzig» phrasiert. Gershwin forderte «klassisch», spielte aber (gemeinsam mit seinen Bands) in seinen eigenen Aufnahmen alles andere als klassisch. Rüegg formuliert Offenheit: «Komponisten (wie ich) liefern Vorschläge und legen keinen Wert auf Werktreuefetischismus.»

Eine Durchsicht seiner beiden Stücke zeigt einen ausnehmenden Sinn für Humor: Die drei ineinander übergehenden Teile der Fagottkomposition farmers & wives sind als «first wife», «second wife» und «third wife» überschrieben – wobei der dritte Teil viele Elemente einer Reprise des ersten enthält. Jeder soll das so interpretieren, wie er will! Hinter der «second wife» verbirgt sich ein inspiriertes Recitativo, in dem auch mal «mit viel schonem Ton» (sic!) gespielt werden soll.

Eine unprätentiöse Miniatur in Satie-Manier ist der langsame Walzer, das eingangs erwähnte untitled, but lovely für Oboe und Klavier, dessen Schluss deutlich gewinnt, wenn er auf dem Englischhorn gespielt wird – dies ist in den Noten nicht vorgesehen, in der Aufnahme des Widmungsträgers kann man es aber so hören. Es lohnt sich, Rüeggs Musik mit viel Sorgfalt und Intensität zu begegnen, dann kommt sie zu einer intimen und oft doppelbödigen Wirkung!Image

Mathias Rüegg, farmers & wives (1995), für Fagott und Klavier, D 05 563, € 15.95, Doblinger, Wien 2012

Mathias Rüegg, untitled, but lovely (1995), für Oboe und Klavier, D 05 266, € 13.95, Doblinger, Wien 2012

Als vielteilige Serie angelegt, möchten die Bagatellen von Jean-François Michel (*1957) unterhalten und «Humor, Parodie oder Spott freien Lauf lassen». Der Komponist reiht sich damit in die französische Tradition der luziden, klaren und tonalen Tonsprache des Neoklassizismus etwa eines Henri Tomasi oder Jean Françaix ein. Sowohl die jeweils zehnminütigen Fagott- als auch die Oboenbagatellen sind für interessierte Liebhabermusiker und -musikerinnen problemlos zugänglich und können sich, mit klanglicher Raffinesse gespielt, lyrisch und virtuos wirkungsvoll entfalten. Besonders erwähnenswert sind die langsamen Mittelsätze: Eine barockisierende Siciliana (Fagott) und ein Adagio misterioso (Oboe) sorgen für intensive und berührende Momente.Image

Jean-François Michel, 3 Bagatelles (2011), für Oboe und Klavier, OB 12, Fr. 15.00. Editions Bim, Vuarmarens 2012

Jean-François Michel, 3 Bagatelles (2013), für Fagott und Klavier, FG6, Fr. 15.00, Editions Bim, Vuarmarens 2013

Das könnte Sie auch interessieren