Streitpunkt Fingersätze

Das erste Heft mit Debussys «Préludes» in einer Neuausgabe von Bärenreiter.

Claude Debussy spielt vor Ernest Chausson 1893. Foto-Upload: João Carvalho, wikimedia commons

Der Bärenreiter-Verlag ist zweifellos ein produktives Haus. Ja eigentlich muss man in diesem Fall sogar von mehreren Häusern sprechen: Kassel, Basel, London, New York und Prag heissen die diversen Standorte. Gerade im Bereich der Klaviermusik ist die Zahl der Neuerscheinungen in den letzten Jahren fast unübersehbar gross: viel Standardrepertoire, aber auch seltener Gespieltes (Fauré) oder sogar Raritäten (sämtliche Klavierwerke von Vierne). Auch Vierhändiges kommt nicht zu kurz. Gerade ist etwa eine wunderbare Version der Moldau von Smetanas eigener Hand erschienen (BA 9549).

Bei einer so mannigfaltigen und reichen Produktion überrascht es nicht, dass Anspruch und Ergebnis nicht immer gleichermassen überzeugen können. Die neue Ausgabe von Debussys erstem Band der Préludes etwa kommt zwar im übersichtlichen Grossformat daher, am umfangreichen Kritischen Kommentar gibt es auch nichts zu mäkeln, und die ausführlichen Bemerkungen zu den einzelnen Stücken und zur Interpretation aus der Feder von Thomas Kabisch sind allesamt sehr lesenswert.

Martin Widmaiers «Anmerkungen zum Fingersatz» sowie seine «12 Fingersatzstudien», die auf spezifische Probleme der jeweiligen Préludes eingehen sollen, sind auch durchaus willkommen. Leider gilt das nicht für die eigentlichen Fingersätze. Die sind – bei aller Toleranz gegenüber Andersartigem und Ungewohntem – oft unnötig kompliziert, manchmal sehr gesucht und gelegentlich sogar absurd. Man schaue sich nur mal den Anfang von Voiles oder La fille aux cheveux de lin an. Sehr oft scheint Widmaier Debussys pianistischem Klanginstinkt zu misstrauen und verteilt die Akkorde ganz anders auf beide Hände, mit dem Resultat, dass alles bloss umständlicher zu greifen ist. Vor allem aber wird auf diese Weise ein ganz anderer Klang erzeugt, als vom Komponisten beabsichtigt. Das gilt besonders auch für die Eingriffe in La Cathédrale engloutie (Takt 84 und ähnliche!).

Vielleicht hätte man sich in diesem Zusammenhang an Debussy selber halten sollen, der bei seinen eigenen Etudes bewusst auf Fingersatzangaben verzichtet hatte. Dies in der Überzeugung, es sei viel besser, Fingersätze selber zu suchen. Alors: «Cherchons nos doigtés!»

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Claude Debussy, Préludes pour Piano (1er livre), Urtext hg. von Thomas Kabisch, BA 10818, € 17.95, Bärenreiter, Kassel 2014

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