Barocke Vorbilder

Eine Blockflötensonate an den Grenzen, aber immer innerhalb des tonalen Rahmens.

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Gleich vier glückliche familiäre Umstände waren bei der Entstehung der vorliegenden Sonata in d für Altblockflöte und Orgel beteiligt: Den Mittelsatz der Sonate schrieb Hans Chemin-Petit 1963 ursprünglich zur Taufe seines Enkels Hajo – eine heiter-idyllische Aria im Dreivierteltakt mit Beginn und Ende im ruhigen Andante-Tempo und einem etwas schnelleren Mittelteil. Dass er schon in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts überhaupt für Blockflöte komponierte, verdanken wir dem Umstand, dass eine seiner Töchter – Jeannette Chemin-Petit – Blockflötistin war, zunächst als Schülerin Linde Höffer-von Winterfelds, danach selbst als Professorin in Berlin. Und der dritte Umstand ist in Hans Chemin-Petits eigener Biografie zu finden: Geboren 1902 in Potsdam als Sohn eines Kapellmeisters und einer Sängerin, genoss er schon früh Klavier- und Cellounterricht, studierte später Violoncello und Komposition an der Musikhochschule in Berlin und gelangte sowohl als Cellist, als Chordirigent, aber auch als Komponist zu grosser Bedeutung. Sein umfangreiches Œuvre umfasst fast allen Gattungen und beinhaltet eben auch zahlreiche Werke für Blockflöte, von klein besetzter Hausmusik bis hin zum grossen Doppelkonzert für Blockflöte, Cembalo, Streicher und Schlagzeug. Allerdings muss sich Chemin-Petit auch kritische Fragen gefallen lassen: Als Mitglied des NS-Altherrenbunds war er einer Ideologie verpflichtet, die ihn, seine Werke und sein Wirken in ein zwiespältiges Licht rücken. So wurde z. B. seine Kantate An die Liebe am Reichsmusiktag 1938 aufgeführt.

Hans Chemin-Petit lotet in seiner Sonata in d wie überhaupt in seinen Werken die Grenzen der Tonalität aus, in der er aber immer verhaftet bleibt. Auch formal ist sein Denken der Tradition verpflichtet: Sowohl das auf Symmetrie angelegte Formverständnis, die kunstvolle, an J. S. Bach geschulte Polyfonie, die Art der Rhythmik und die Satzmodelle (Aria, Gigue) verweisen auf barocke Vorbilder, haben aber dank der ganz persönlichen Tonsprache und dem melodischen Reichtum Chemin-Petits ein neues Kleid erhalten. Die beiden Instrumente Altblockflöte und Orgel sind gleichberechtigte Dialogpartner.

Die zuerst entstandene Aria erweiterte der Komponist im Sommer nach der erwähnten Taufe um die beiden Ecksätze Allegro und Gigue zu einer dreisätzigen Sonate nach klassischem Vorbild. Dass sie überhaupt ediert wurde – Glücksfall Nummer vier – verdanken wir seiner zweiten Tochter (und Mutter des Täuflings) Andrea Witte.

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Hans Chemin-Petit (1902-1981), Sonata in d für Altblockflöte und Orgel, hg. von Andrea Witte, EM 2165, € 15.00, Edition Merseburger, Kassel 2013

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