Urformen
Quellen der Alphornmelodik, zuerst in Buchform veröffentlicht, sind nun auch als Videodokument erlebbar.
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Hans-Jürg Sommer unterrichtete rund vierzig Jahre lang als professioneller Musikpädagoge Gitarre, ist aber als Alphornbläser, Komponist von über 500 Werken für Alphorn – unter ihnen der berühmte Moos-Ruef –, Kursleiter und Musikschriftsteller bekannt. 2002 wurde er für seine musikalischen Verdienste mit dem Goldenen Violinschlüssel, 2006 für seine kulturelle Leistung mit dem Musikpreis des Kantons Solothurn ausgezeichnet.
2010 publizierte Sommer ein 154 Seiten umfassende Dokumentation unter dem Titel Eine Auswertung und Interpretation historischer Quellen zur Alphornmelodik (Eigenverlag Oensingen). Es ging ihm darum, alte Stücke nicht aus der Sicht eines Ethnomusikologen, sondern als Spieler auf der Suche nach traditionellen Melodien zu edieren. Er sammelte alte Notationen von Kühreihen aus der Reiseliteratur des 18. und 19. Jahrhunderts, wie sie bereits in Alfred Leonz Gassmanns Alphornbüechli von 1938 und in anderen Publikationen vorliegen, ergänzte sie aber durch alte Tonaufnahmen, die seit den 1930er-Jahren greifbar und nun transkribiert sind.
Der Autor erreichte mit diesem wichtigen Sammelwerk aber lange nicht alle der rund 5000 Alphornbläser der Schweiz, weil sich viele unter ihnen Melodien nur durchs Gehör aneignen können. Diese Erkenntnis brachte Hans-Jürg Sommer und einen seinen Alphornpartner, Thomas Juchli, auf die Idee, die Kühreihen-Melodien aus der vorliegenden Sammlung einzuspielen und in sorgfältig ausgewählten Berglandschaften der Schweiz anzusiedeln. Dabei ging es dem Musikpädagogen nicht einfach darum, den bekannten Zusammenhang von Landschaft, Musik und Milchwirtschaft im Film zu visualisieren, sondern einzelne Teile von sechs immer wiederkehrenden Kühreihen aus dem 18. und frühen 19. Jahrhundert in ihrer ursprünglichen Funktion darzustellen. Vorerst sind die Invokationsmotive in aufsteigenden Melodien zu hören. Nach diesen Einleitungen zeigen Lock- und Reihenteile, dass ihnen noch heute auf Alpen weidende Kühe in althergebrachter Selbstverständlichkeit folgen. Die Diskussion um die Bedeutung des Begriffs Kühreihen wird durch dieses natürliche Phänomen abgeschlossen: wenn das Alphorn oder auch andere Musik erklingt, stellen sich die Kühe eine nach der anderen in einer langen Reihe ein. Jedermann erkennt in weiteren Sequenzen, die Sommer Zäsuren nennt, ruhige Musikpassagen, während denen der Alphirte vor dem Stall auf die Kühe zu warten pflegte. Nach weitern Lock- und Reihenteilen enden die Kühreihen mit der Wiederholung der Einleitung und einem Jauchzer.
Was in einem verblüffend einfachen Kommentar, wahlweise auf Deutsch, Französisch oder Englisch, leicht verständlich scheint und sich zudem auch sehr schön präsentiert, ist das Resultat einer jahrelangen, aufwändigen Arbeit, die ein allgemeines Publikum und vor allem auch Schulkinder erreichen möge.
Hans-Jürg Sommer und Thomas Juchli, Die Mundart des Alphorns (dt/frz/eng), DVD Nr. 802, alphornmusik.ch