Wo die elektronische Musik ausstrahlte

Ein fakten- und anekdotenreicher Band mit fünf CDs dokumentiert die Geschichte des Studios für Elektronische Musik des WDR.

Karlheinz Stockhausen im Oktober 1994 im Studio für Elektronische Musik des WDR, während der Produktion von «Freitag aus Licht». Foto: Kathinka Pasveer / wikimedia commons

Heinz Schütz: Der Name war mir bislang unbekannt. Er erscheint jedoch prominent in dieser Geschichte des Elektronischen Studios des WDR Köln. Morgenröte heisst sein kurzes, konzentriertes Tonbandstück von 1952. Momentweise weist es sogar schon auf Stockhausens epochemachenden Gesang der Jünglinge (1955/56) voraus. Bloss: Schütz sah sich nicht als Komponist, er war Techniker und hatte im Auftrag von Studiochef Herbert Eimert ein Demonstrationsstück ausgearbeitet. Mit viel Feeling jedoch.

Das Beispiel zeigt, wieviel kreatives Potenzial in jenem Studio vorhanden war, nicht nur bei den Komponisten, sondern auch in der Technik. Alle waren sie neugierig und in den Schaffensprozess involviert. Elektronische Musik, für viele Hörerinnen und Hörer damals noch unverständlich, war eine Terra incognita, die man im Team erkundete. Bis zur Auflösung des Studios 2001 entstanden dort zentrale Werke. Das Studio hatte eine Ausstrahlung, die es legendär machte – Miles Davis und die Beatles liessen sich davon inspirieren –, vor allem natürlich durch Stockhausen selber, der sich zeitweise zum Leiter aufschwang. Aber es gab daneben noch weitere Innovationen und hoch spannende Tendenzen.

Das wird immer wieder deutlich in dieser Publikation, die der Ex-WDR-Redakteur Harry Vogt und die Radioschaffende Martina Seeber herausgegeben haben. Es ist ein prägendes Stück Musikgeschichte, das hier in Aufsätzen verschiedener Autoren und Autorinnen dokumentiert und aufgearbeitet wird. Besonders wertvoll sind dazu die fünf beigelegten CDs mit mehr als sechseinhalb Stunden Musik. Darauf findet sich neben den Meisterwerken auch Vergessenes oder Nicht-mehr-Auffindbares. Aus helvetischer Sicht sind die Dialoge von 1977 zu erwähnen, in denen Thomas Kessler europäische und aussereuropäische Instrumente mit der Elektronik zusammenführte. Als er dort eingetroffen sei, erzählt der kürzlich verstorbene Kessler, habe Stockhausen gerade seinen galaktischen Sirius beendet gehabt. «Das fand ich interessanter als jede technische Einführung, denn ich konnte mir vorstellen, dass mein Körper schon bei der Berührung mit einem Gerät zur intergalaktischen Antenne werden könnte.» So entsteht ein reichhaltiges Kompendium, höchst informativ, leicht zu lesen, erfreulich anekdotengespickt.

Radio Cologne Sound. Das Studio für Elektronische Musik des WDR, hg. von Harry Vogt und Martina Seeber, 287 S., Deutsch/Englisch, ill., mit 5 CDs, € 39.00, Wolke, Hofheim 2024, ISBN 978-3-95593-259-6

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