Bomben und Kursäle

Mathias Gredig beschäftigt sich in diesem manchmal etwas abschweifenden Buch mit der futuristischen Geräuschkunst.

Luigi Russolo (li) und sein Assistent Ugo Piatti mit den Intonarumori, Mailand 1913. Wikimedia commons

Am 21. April 1914 wurden im Teatro Dal Verme in Mailand die futuristischen Intonarumori vorgestellt. Diese Geräuschmaschinen Luigi Russolos stiessen allerdings beim Publikum auf wenig Verständnis. Beim zweiten Stück, Si pranza sulla terrazza del Kursaal, einer vom Titel her doch eher idyllischen Szenerie, kam es zu einem tumultartigen Aufstand. Auch Italien hatte damit seinen Skandal, er blieb jedoch weitaus weniger bekannt als jene bei Strawinskys Sacre oder beim Wiener Watschenkonzert 1913. Ja, er hat etwas Pittoreskes.

Das Thema drängte sich geradezu auf bei einem Musikwissenschaftler, der über Tiermusik promovierte und sich seit geraumer Zeit der musikalischen Umgebung von Hotels und Kurorten widmet: Mathias Gredig. Ausgehend von jenem Skandal fächert er auf, in welchem kontrastreichen Umfeld der Futurismus zu verstehen ist, nicht bloss als grenzensprengende Kunst, sondern auch als eine, die sich als Teil der Tradition versteht. So wehrte sich Russolo etwa vehement dagegen, seine Geräusche naturalistisch zu verstehen. Der Kritiker Agostino Cameroni erhielt dafür eine Ohrfeige.

In siebzehn Kapiteln gelingt es Gredig, Russolos Schaffen zwischen den Extremen einzuordnen, zwischen friedlicher Hotellobby und der Kriegsbegeisterung Marinettis, des Begründers des Futurismus, zwischen angenehmer Klanglichkeit und Geräuschorgie, zwischen Zurückgezogenheit und Provokation. Russolos Radikalität war vielleicht doch nicht so radikal, sondern auch ein Biografem, wie damals nicht ganz unüblich.

Man muss wohl die Kunst der Digression lieben, um das Büchlein ganz geniessen zu können. Gerne schweift Gredig ab, um sich zum Beispiel ins Risottokochen oder ins Bombenwerfen zu vertiefen. Manchmal gerät er ins Spekulieren, manchmal ist er ein wenig schnellzügig unterwegs, da möchte man noch ein paar zusätzliche Erläuterungen, und ein paar Mal ist er doch etwas gar salopp, beispielsweise wenn er von getöteten Musikern schreibt, sie seien im Sarg gelandet. Eine untergründige Ironie ist fast durchwegs spürbar, etwa gegenüber dem anfangs gar nicht so antifaschistischen Toscanini.

Am Schluss steht eine zerstörte Idylle: die zersplitterten Musikinstrumente im Hotel Kursaal Diana in Mailand nach der Explosion am 23. März 1921.

Mathias Gredig: Grandhotels, Risotto und Bomben, Geschichte der futuristischen Geräuschkunst, Fröhliche Wissenschaft 232, 173 S., € 15.00, Matthes & Seitz, Berlin 2024, ISBN 978-3-7518-3012-6

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