Die Musik der Aneignung
Mit Karte, Uhr und Partitur im Zentrum seiner Betrachtungen schreibt Johannes Schöllhorn über Eroberung und die dazugehörige Musik.
In seiner Musik hat sich der deutsche Komponist Johannes Schöllhorn (*1962) immer wieder mit der Musik anderer beschäftigt, hat sie transkribiert und transformiert, hat Musik über Musik gemacht, so über Bach und Ravel, Purcell und Satie und wunderbar über Gabriel Fauré. Mehrere dieser Stücke finden sich auf der Doppel-CD Sérigraphies (bastille musique 20).
Schöllhorn ist also selber ein Experte des Sich-Aneignens und Sich-Anwandelns. Um die Dialektik dieses Vorgehens geht es auch in seinem 500 Seiten starken Buch, einer teilweise losen und doch innerlich konsistenten Sammlung von kürzeren Texten. Die Eroberung der Welt steht dabei im Zentrum sowie ihre Begleitmusik, die immer auch eine der Aneignung, ja des Diebstahls war – und eine des Ordnens: Deshalb spielen Karte, Uhr und Partitur im Titel die Hauptrolle.
Unsere europäische Kultur hat sich mit Hilfe dieser Instrumente den Globus zu eigen gemacht. Diesen Spuren folgt Schöllhorn, zum Buchdruck und über die Meere, in die Malerei und in die Kompositionstechnik, in die Vergangenheit wie in eine Zukunft. Und weil er einen breiten Horizont hat, kann man mit ihm enorm viel lernen. Das Buch scheint schnell geschrieben und liest sich auch schnell. Diese Spontaneität ist erfrischend, voller Verve, manchmal packt den Autor die Wut, manchmal verwildern und verwirren die Gedanken, denn Schöllhorn wagt sich mithilfe guter Sekundärliteratur auf fremdes Terrain.
Das Ganze ist unsystematisch, bündelt nicht, sondern legt Fäden aus, die man zu einem Kernpunkt zurückverfolgen könnte. Ein paar Lücken möchte man gerne schliessen, anderes genauer wissen, und oft hat man beim Lesen Einwände, viele sogar, aber die sollen einem recht sein. Denn das Buch ist anregend – und es lässt uns bei allen Zweifeln und Verzweiflungen nicht hoffnungslos, denn «eines kann Musik immer – uns trösten».
Johannes Schöllhorn: Karte, Uhr und Partitur. Variationen und Volten über Eroberung und ihre Begleitmusik, hg. von Rainer Nonnenmann, 512 S., € 24.00, MusikTexte, Köln 2022, ISBN 978-3-982467-0-2