Nichts aus heiterem Himmel
Wie geht Komponieren heute? 33 Musikschaffende äussern sich dazu im Band «musik machen».
Beim Wort «komponieren» schwingt einiges mit: natürlich Kreativität, auch das Ringen um Ideen, das Erdenken neuer Klänge oder neuer Konstellationen. Da ist schon mal bemerkenswert, wenn der in Basel lebende Komponist Wolfgang Heiniger glaubt, dass man Musik nicht «neu erfinden kann». Seiner Meinung nach steckt die Bedeutung von Komposition schon im Wort: «Man setzt zusammen», sagt er.
Das im Vexer-Verlag erschienene Bändchen musik machen mit ein- bis dreiseitigen Stellungnahmen von 33 zeitgenössischen Komponistinnen und Komponisten ist kurzweilig wie inspirierend. Neue Musik ist kaum auf einen Nenner zu bringen. Und das gilt auch für die abgedruckten Texte, die um Ästhetik im Allgemeinen kreisen, um persönliche Arbeitsgewohnheiten oder Schaffensprozesse. Manches erinnert durchaus an ältere Komponisten-Bilder. Dieter Ammann schreibt: «Komponieren bedeutet eigentlich, als Suchender in einer Welt unterwegs zu sein, deren eigener Schöpfer man gleichzeitig ist.» Ammanns Suche kann manchmal dauern. Zuweilen denkt er drei Jahre über ein Werk nach. Ja, da kommt einem vielleicht Beethovens eingekerbte Stirnfalte in den Sinn.
Ammanns Ton ist erfrischend direkt, und das gilt auch für seine Kolleginnen. Isabel Klaus macht aus der Not eine Tugend. Sie braucht Widerstände, sieht die üblichen Auftragsvorgaben – «schreibe ein Stück für diese oder jene Besetzung mit dieser oder jener Dauer» – nicht etwa als Einschränkung ihrer Kreativität, sondern als Möglichkeit, sich kreativ zu reiben an «Steinen, die ihr in den Weg gelegt» werden.
Die von den Herausgebern Désirée Meiser, Matthias Schmidt und Anja Wernicke ausgewählten und interviewten Komponisten stammen zum guten Teil aus dem Basler Umfeld. Manch grosser Name erweitert den regionalen Blick: Wolfgang Rihm etwa, der Deutsche Mathias Spahlinger oder der in den letzten Jahren sehr erfolgreiche Däne Simon Steen-Andersen. Letzterer erwähnt seine «negative Inspiration»: Hört er «tolle Musik», denkt er, dass er sich bemühen muss, «das ganz anders zu machen».
Ganz anders stellt sich letztlich auch das heutige Komponieren dar. Frühere Vorstellungen eines gottgleichen Creatio-ex-nihilo-Genies, das einschüchternd autoritär seine zündenden Funken zu Papier bringt, sind zum Glück passé. Heute, das zeigt der Sammelband eindrücklich, geht es weit mehr um Kooperation mit Musikern, um Einflüsse, manchmal auch ganz bodenständig um eine Arbeit, die getan werden muss. Schön auf den Punkt bringt es der an der Hochschule für Musik Basel als Professor für Komposition lehrende Johannes Kreidler: «Ideen fallen nicht aus heiterem Himmel. Der Anfänger wartet auf den Musenkuss, der Profi fängt an zu arbeiten.»
musik machen, hg. von Désirée Meiser, Matthias Schmidt, Anja Wernicke, 144 S., Fr. 28.00, Vexer, St. Gallen 2023, ISBN 978-3-907112-63-2