Übersicht und Detailreichtum
Elisabeth Schmierer trägt in ihrer Darstellung «Die Musik des 18. Jahrhunderts» eine Fülle an Material zusammen.
Eine Epoche wie das 18. Jahrhundert, die eigentlich gar keine Epoche ist, in einem Buch zusammenzufassen, scheint schier unmöglich. Zu weit ist der politische, ideengeschichtliche, künstlerische und auch musikalische Bogen, den es spannt. Die Darstellung von Elisabeth Schmierer – sie forscht und lehrt an der Folkwang-Universität der Künste in Essen – fokussiert deshalb nicht auf einzelne Persönlichkeiten, sondern folgt durchaus schlüssig den Entwicklungen verschiedener Gattungen, die sie wiederum vor dem jeweiligen gesellschaftlichen Hintergrund beleuchtet. Wie entwickelt sich die Kirchenmusik in Zeiten der Aufklärung und des aufkommenden Konzertbetriebs. Wie erscheint das Lied vor dem «Spiegel bürgerlicher Musikkultur»? Vor allem immer wieder: Wo steht das Musiktheater? Das ist höchst informativ, weil Schmierer auch zu Seitenbereichen wie etwa der Ballettpantomime oder der Programmmusik reichlich Material zusammenträgt.
Manchmal fast etwas zu reichlich, so dass man beim Lesen den Überblick zu verlieren droht. Der Verzicht auf Fussnoten (stattdessen gibt’s viele Klammern) macht den Text noch etwas weniger flüssig lesbar. Bilder und Notenbeispiele fehlen fast gänzlich. Ein Glossar erklärt zwar im Anhang die wichtigsten Begriffe, aber das verhindert nicht, dass das Buch letztlich recht wenig anschaulich ist.
Ich greife ein Lieblingsbeispiel heraus, die Passionsdichtung des Hamburger Schriftstellers und Stadtrats Barthold Heinrich Brockes, die von einigen der wichtigsten Komponisten wie Händel, Telemann oder Stölzel vertont wurde und bei der sich auch Bach bediente. Diese Namen und einige mehr werden erwähnt, ausserdem dass Brockes den Evangelistentext wieder ins Passionsoratorium eingeführt hat, allerdings mit einigen Reimen. Und das ist’s auch schon. Nichts darüber, zu welch höchst individuellen und spannenden Lösungen der hochexpressive Text die Musiker anregte. Nein, es geht rasant im Aufzählen weiter.
Schliesslich zementiert der Band, auf dessen Titelseite doch drei musizierende Frauen zu sehen sind, unter der Hand den Eindruck, dass weibliches Komponieren in jenem Zeitalter überhaupt keine Rolle gespielt habe. Einzig Élisabeth-Claude Jacquet de la Guerre taucht als Komponistin auf. Eine Juliane Reichardt fehlt ebenso wie die Madame de Montgéroult, die zu den ersten Lehrerinnen am Pariser Conservatoire gehörte. Trotz solcher Leerstellen vermittelt der Band eine gute Übersicht und ist gewiss all jenen nützlich, die Musikgeschichte unterrichten und sie in einem weiteren Rahmen vernetzen möchten.
Elisabeth Schmierer: Die Musik des 18. Jahrhunderts, 345 S., € 32.80, Laaber, Lilienthal 2022, ISBN 978-3-89007-858-8