Ausbildungsstätten für Musik im 19. Jahrhundert
In drei Bänden beleuchtet das «Handbuch Konservatorien», wie sich die institutionelle Musikausbildung im deutschsprachigen Raum in ihren Anfängen entwickelt hat.
Sie nennt es Handbuch der Konservatorien, die Herausgeberin und Institutsleiterin des Sophie-Drinker-Instituts Bremen, Freia Hoffmann, die in verdankenswerter Weise zusammen mit ihrem Team erstmals umfassende Informationen zum Beginn der professionellen Musikausbildung im deutschsprachigen Raum zusammengetragen hat. Anhand von 16 ausgewählten Instituten zeichnet das Team ein spannendes Bild der frühen Geschichte der Konservatorien. Entstanden ist in drei Bänden ein Panoptikum, in dem man sowohl interessiert lesen als auch gezielt Informationen finden kann, was den Begriff «Handbuch» rechtfertigt.
Es war sicherlich nicht einfach, einen gemeinsamen Nenner für die Darstellung der verschiedenartigen Entwicklungen dieser Ausbildungsinstitute zu finden. Zuerst galt es, alle verfügbaren Quellen zusammenzutragen: Korrespondenzen und Inventare aus Archiven, Zeitungsartikel, Biografien der Lehrerschaft oder Broschüren. Einen Einblick geben abgedruckte Quellen am Schluss des dritten Bandes wie diverse Artikel Ueber musikalische Conservatorien in der Neuen Zeitschrift für Musik von 1841, Teile der 46 Seiten umfassenden Broschüre von Franz Joseph Kunkel Die Verurtheilung der Conservatorien zu Pflanzschulen des musikalischen Proletariats … oder Luise Adolpha Le Beaus Artikel Über die musikalische Erziehung der weiblichen Jugend von 1878.
Trotz grosser Unterschiede ist es methodisch gelungen, eine Einheitlichkeit im Vorstellen der einzelnen Konservatorien zu finden. So umfassen die Beiträge Aspekte zur Geschichte, zur Finanzierung und zur inhaltlichen Ausgestaltung des Studiums einschliesslich Nebenfächern und Konzertaktivitäten in den damals zur Verfügung stehenden Räumen. Finanzieren mussten sich die meisten Institutionen über Studiengebühren, erhielten aber auch Zuwendungen von Fürsten oder Königen wie das Stern’sche Konservatorium Berlin.
Interessant sind auch die Statistiken zu Studierenden im Geschlechterverhältnis und nach Nationen aufgelistet. Bei allen Konservatorien und in allen Studienjahren finden sich Schweizerinnen und Schweizer, was das damalige Manko an helvetischen Ausbildungsstätten markant demonstriert. Besonders bekannt und begehrt war das Konservatorium Leipzig, das so eng mit Felix Mendelssohns Wirken verbunden ist und das bis 1868 die erstaunliche Zahl von 46 Personen aus der Schweiz ausweist.
Erstmals ein wissenschaftliches Gesicht erhält auch die Misere der Frauen im 19. Jahrhundert, die schon gar nicht erst zum Studium zugelassen wurden. Für Wien heisst es etwa, dass Verordnungen erlassen wurden, «die den Zugang zu Instrumentalabteilungen für Frauen deutlich beschränkten». Ausgenommen waren natürlich Sängerinnen, die nicht ersetzbar waren. Informationen zu den Lehrern – Lehrerinnen gab es kaum – zusammenzutragen war gewiss eine Herkulesarbeit, ermöglicht aber weitere Einblicke bezüglich der Beschaffenheit des Lehrkörpers.
Schade ist einzig, dass ein Personenregister fehlt, das Querverweise unter den Institutionen ermöglicht und auf übersichtliche Weise aufgezeigt hätte, welche bekannten Namen sich schon damals pädagogischen Aufgaben stellten. Andererseits zwingt es zum intensiven Lesen aller drei Bände, was auch grossen Gewinn bringt.
Handbuch Konservatorien: Institutionelle Musikausbildung im deutschsprachigen Raum des 19. Jahrhunderts, hg. von Freia Hoffmann, 3 Bd. mit zusammen 871 S., € 198.00, Laaber, Lilienthal 2021, ISBN 978-3-89007-911-0