In 100 Opern durch das 20. Jahrhundert

Jeder Komponist und jede Komponistin kommen nur einmal vor in dieser von Bernd Feuchtner erstellten Werkauswahl.

Ausschnitt aus dem Buchcover

Diesem Bernd Feuchtner kann man den überraschenden Titel Die Oper des 20. Jahrhunderts in 100 Meisterwerken abnehmen, denn er war zwanzig Jahre lang Musikjournalist, dann Dramaturg, Operndirektor, Dozent an verschiedenen Hochschulen und ist heute freier Autor. Mit Pfitzners Rose vom Liebesgarten (1901) und Debussys Pelléas et Mélisande (1902) setzt er an und fährt völlig überraschend mit Isaac Albéniz’ Merlin weiter, bevor er zu Puccinis Madama Butterfly (1904) kommt, jedesmal mit einleitenden Grunddaten zu Libretto, Dauer, Rollen, Uraufführung, Spielorten und Sprache.

Konsequent hält er sich an die Regel, jeden der 94 Komponisten und 6 Komponistinnen nur mit einem Werk in die Jahrhundert-Übersicht aufzunehmen, wobei Ethel Smyth mit The Wreckers von 1906 als einzige Opernkomponistin vor 1975 eingeschlossen wurde. Bis 2000 folgen dann noch Thea Musgrave, Adriana Hölszky, Meredith Monk, Olga Neuwirth und Kaija Saariaho mit ihren Meisterwerken. Als einziger Schweizer Komponist ist Othmar Schoeck mit seiner Penthesilea (1927) vertreten, zwischen König Roger von Szymanowski und Das Wunder der Heliane von Korngold. Der Autor fügt hinzu, dass James Joyce ein Bewunderer von Schoecks «farbenreicher Orchesterkantate Lebendig begraben» war.

Da begegnet man keinem trockenen Rapportieren von Handlung und Aufführungszahlen, sondern einem sehr persönlich gefärbten Miterleben, Beurteilen und Einordnen. Feuchtner hat ein ausgesprochenes Talent, Opernhandlungen attraktiv zu erzählen oder knapp zusammenzufassen, aber auch Bezüge zum zeitbedingten kulturellen Umfeld herzustellen oder Rezeptionsschwierigkeiten zu erläutern. Mit Krzysztof Pendereckis Oper Die Teufel von Loudon wird der Weg der allmählichen Befreiung Polens als Satellit der Sowjetunion aufgezeigt, der 1956 mit der Gründung des Festivals Warschauer Herbst einsetzte. Feuchtner geht aber auch von eigenen Erlebnissen als Dramaturg aus und schildert seinen Ersteindruck eines Werks, aber auch seine Enttäuschungen.

Theodor W. Adorno wird als einflussreichster Musiktheoretiker des 20. Jahrhunderts bezeichnet, aber auch seine Fehlurteile betreffend Sibelius, Britten und Schostakowitsch werden nicht verschwiegen. In vier materialreichen Exkursen ordnet Feuchtner das Opernschaffen in das politische Zeitgeschehen ein: «Der Weg der Veristen in die Arme von Mussolini», «Politische Oper in den USA», «Oper in Lateinamerika», «Berlin, Hauptstadt der DDR». In der umfangreichen Einleitung schreibt er: «Komponiert wurden im 20. Jahrhundert weit mehr als zehntausend Opern. Hunderte davon konnte ich als Journalist […] und in der Theaterpraxis kennenlernen.» Und daraus ist dieses in jeder Hinsicht lesenswerte Opernbuch entstanden.

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Bernd Feuchtner: Die Oper des 20. Jahrhunderts in 100 Meisterwerken, 688 S., reich illustriert, € 39.80, Wolke, Hochheim 2020, ISBN 978-3-95593-250-3

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