Tipps nur am Rande
Was denn nun «gute Musik für Kinder» sei, ist offenbar schwer zu fassen. Thomas Hartmann versucht es in seinem kritischen Streifzug «Mama lauter!».
Ohrewürm sind bekannt: Papagei und Mamagei, Zügle oder Ohni Znacht is Bett sind Hits. «14 neue Kinderlieder von Schweizer Bands» ist die 1995 erschienene CD Ohrewürm 1 betitelt. Aber was heisst eigentlich «Kinderlieder»? Singen nicht auch Erwachsene mit? Und ab welchem Alter finden unsere Sprösslinge die Lieder «uncool»?
Thomas Hartmann ist ein Fachmann. Fast zehn Jahre arbeitete der Autor des Buches Mama lauter! auf der Redaktion des Kinderhörfunks im Kölner Radiosender WDR. «Eindeutige Altersempfehlungen sind in der Kindermusik schwierig», schreibt er (S. 247). Schwierig ist offenbar auch eine Definition von guter Kindermusik. Im entsprechenden Kapitel scheint sich der Autor hinter Grundsätzlichem zu verstecken.
Hartmann gibt zu bedenken, dass ein zu simples Lied schnell nerve und sich schon deshalb kaum durchsetzen könne, weil die Eltern es schnell nicht mehr hören können (und die CD gegebenenfalls einfach verstecken). Eine zu komplexe Musik führe wiederum zu Distanz, im schlimmeren Fall zu Hassgefühlen. – Solch ein polares Modell mag stimmen aus der Sicht des ehemaligen Rundfunkredakteurs. Wer aber schon mal gesehen hat, wie gerne Kinder auch einfach klanglich offen und durchaus komplex mit Klangerzeugern lustvoll experimentieren, hat so seine Zweifel. Aber das nur en passant.
Angesichts solch labiler Voraussetzungen ist Hartmanns kritischer Ton überraschend. Da gerät der Kommerz ins Visier, das «Geschäft mit der Kindermusik». In einem anderen Kapitel geht es um «künstlerische Entgleisungen», wenn zum Beispiel Nenas Hit Nur geträumt für den Mathematikunterricht eingespannt wird: «Ich hab heute nichts versäumt, denn ich hab nur von vier geträumt. Ich hab die acht nur kurz gesehen, dann kam schon zwölf und dann sechzehn.» (S. 48)
Mit zunehmender Lektüre wird dieser – wie es im Untertitel heisst – «kritische Streifzug durch eine unterschätzte Gattung» recht langatmig. Offenbar ist das in der Tat komplexe Themengebiet nur mit Bezügen zu einzelnen Liedern oder Interpreten in den Griff zu bekommen. Nach allerhand Nebligem und viel subjektiv gefärbter Theorie gibt Hartmann erst am Ende die für Eltern ja entscheidenden Tipps in Form von Kurzporträts ausgewählter Kindermusikinterpretinnen und -interpretn. Eine CD als Beilage hätte man da gerne gehabt. Oder sollen Kinder nun die Youtube-Werbung mithören? Die ist auf alle Fälle ätzend, da muss man nicht lang drüber reden.
Auf der gleichnamigen Website des Verlags werden zahlreiche Künstlerinnen und Künstler, die Musik für Kinder machen, vorgestellt und ihre neuesten Produktionen ausführlich und wie der Autor betont: unabhängig besprochen. Neben CDs von einzelnen sind auch Kompilationen und Musikhörspiele berücksichtigt: eine Fundgrube! https://www.mama-lauter.de/
Thomas Hartmann: Mama lauter! Gute Musik für Kinder. Kritischer Streifzug durch eine unterschätzte Gattung, 296 S., € 24.80, Con Brio, Regensburg 2021, ISBN 978-3-940768-91-9